il prologo
Die Faszination Hellas Verona existiert auf vielen Ebenen. Das mag dem ein oder anderen zunächst etwas komisch erscheinen. Nun gut, von mir aus, aber: In den inzwischen vergangenen zweieinhalb Jahren wird das vielen Leserinnen und Lesern, sowohl vom Hellasblog als auch von mentalità calcio, wohl kaum verwehrt geblieben sein, dass diese Faszination zumindest für mich auf wohl allen überhaupt möglichen Ebenen existiert.
Sei es die Faszination der Stadt selbst, oder jene der wunderbaren Region Veneto, die sich so vielfältig von den Dolomitenausläufern bis hin zum Lago di Garda auf der einen und der Adria auf der anderen Seite erstreckt; sei es dieser manchmal so spezielle, besondere Provinzverein, in seinem baufälligen Stadion, welches im Vergleich zu langweiligen deutschen Multifunktionsarenen noch „denkmalgeschützter“ als die Arena di Verona zu sein scheint – sei es die sagenumworbene, berüchtigte Veroneser curva sud, oder die Mythen und Sagen um Stadt und Verein – die Faszination Hellas Verona ist für mich so alltäglich wie allgegenwärtig.
In dieser Serie erzähle ich die Geschichte von Hellas Verona. Nicht in seiner Vollständigkeit, nein, dafür gibt es andere Quellen. Das herausragende Hellastory.net sei hier vor allem erwähnt, eine unvergleichliche Online-Enzyklopädie, seit 2001 in der Internetwelt ein fester Bestandteil der Faszination Hellas Verona – und seit mehreren Jahren ein nahezu täglicher Begleiter von mir.
Nein, wie gesagt, das soll keine vollständige Datensammlung sein, trocken dargestellt und einfach runtergerattert – dafür reichen schon die entsprechenden Wikipedia-Artikel, die man – Google sei Dank – bekanntlich in der heutigen Zeit auch als eine nicht der italienischen Sprache mächtigen figura binnen weniger Sekunden zumindest halbwegs verständlich darstellen und verstehen kann.
Viel mehr soll das hier meine Hellas Verona Story sein. Ich will diese Faszination greifbar machen, anhand von Anekdoten aus der Vereinsgeschichte, anhand Erzählungen aus Stadt und Region. Mal mehr mal weniger chronologisch, mal mehr und mal weniger mit einem Augenzwinkern.
Ein Verein voller Legenden und Mythen, auf und neben dem Stadion. Die erzählt werden wollen, wie auch die Geschichten um und über die weitreichenden Rivalitäten sowie jene Stories der curva sud. Wahrlich keine leichte Angelegenheit, insbesondere der letzte Punkt ist durchaus eine kleinere Herausforderung. Ich spreche aus Erfahrung: Oftmals habe ich Ablehnung in den sozialen Medien erfahren, oftmals wurde mir das gängige (Vor-)Urteil über Hellas Verona und seine Anhängerschaft virtuell ins Gesicht geschleudert. Eine Thematik, die im Rahmen meiner Hellas Verona Story ebenfalls zu gegebener Zeit ausführlich behandelt werden wird.
Auch andere Einblicke über die einzigartige Anhängerschaft der Gialloblù wird es geben – literarische Bücher und Quellen wie das ultimative Buch I Guerrieri di Verona über die Brigate Gialloblù oder die hervorragenden Bücher von Diego Alverà, Verona Milan cinque a tre sowie seine Hellas Verona Story – Emozioni Gialloblù Dal 1903 A Oggi, liefern neben der Enzyklopädie Hellastory.net sowie dem Statistik-Sammelwerk Hellas Verona – Il Grande Libro von Fabio Lo Cascio mehr als nur ausreichend Stoff für meine eigene Hellas Verona Story. Und ja, auch eigene Erfahrungen, Beobachtungen, Erlebnisse und Gespräche werden ihren Weg in diese, eigene Geschichte finden.
Und doch, wir fangen ganz klassisch an: Den Anfang macht ein Professor. Und anschließend, wie es sich für Hellas Verona standesgemäß gehört, der Ursprung einer Rivalität. Eine Rivalität, die älter als ein Großteil der Teams aus Serie A und B ist, gespickt mit seiner eigenen regionalen Geschichte.
Hier beginnt die mentalità calcio Hellas Verona Story – viel Spaß.
la fondazione
Es ist wohl ein Oktober zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der die Geschichte der Veroneser Bevölkerung des folgenden Jahrhunderts maßgeblich prägen und mitgestalten wird. Genauer gesagt, es ist der Oktober des Jahres 1903.
Fußball, heute unser aller so geliebter calcio, wird zu jenem Zeitpunkt auch in Italien bereits gespielt, allerdings nahezu ausschließlich in den stark industriell geprägten Regionen der Lombardia, Piemonte und Liguria. Genauer gesagt dominieren die Teams aus Mailand, Turin und Genua den in Kinderschuhen steckenden italienischen Fußball.
Im Veneto hingegen ist Fußball zu dieser Zeit beinahe non-existent. In Verona wird das Spiel in jenen frühen Jahren des 20. Jahrhunderts auf den Straßen um San Zeno Maggiore, also im Bereich um die Kirche San Zeno, von Kindern gespielt. An Vereinsfußball ist nur entfernt zu denken.
San Zeno Maggiore ist im Übrigen ein beindruckendes Denkmal der Stadt Verona, eine der bedeutendsten Kirchen, sowie „Schauplatz“ der Hochzeit in Shakespeares Romeo und Julia. Doch, vorerst genug mit Veroneser Kultur, zurück zum calcio.
In jenen Jahren ist vor allem der Genoa Cricket and Football Club die bestimmende Kraft des italienischen Fußballs, der heute wohl älteste noch existierende italienische Verein, gegründet im Jahre 1893 von einer Gruppe Engländer und zu jenem Zeitpunkt unangefochtener Seriensieger in der zarten, jungen italienischen Meisterschaft.
In Verona hingegen ist man von solchen Vereinsstrukturen noch weit entfernt. Es ist jener Oktober im Jahr 1903, der den ersten „richtigen“ Verein in Verona zu Tage bringt. Das genaue Datum ist lange umstritten; nein, vielmehr ist der genaue Tag bis heute völlig unbekannt, wie es über lange Jahre auch der genaue Monat und das genaue Jahr waren. Manchmal ist von 1904 die Rede, manchmal von 1903, nur über die Jahreszeit ist man sich einig: Im l’autonno findet diese Geschichte statt, im Herbst. Später einigt man sich aufgrund historischer Quellen auf den Oktober des Jahres 1903, deshalb springen nun eben auch wir in jenen Oktober, genauer gesagt in die Via Abramo Massalongo, zu dem ältesten Gymnasium der Stadt Verona und Italiens: zum altehrwürdigen Liceo Scipione Maffei. Wie in Verona üblich, ist dieses Gymnasium auch heute noch benannt nach einem großen Veroneser Gelehrten namens Scipione Maffei aus dem 17. Jahrhundert.
Das Liceo befindet sich im historischen Stadtzentrum Veronas, unweit des Flusses Adige, umgeben von historischen und unvergleichlichen Gemäuern, die alle ihre eigene Veroneser Geschichte erzählen. Die Geschichte von Hellas Verona ist auch eine von eben jenem Liceo Maffei – und das haben Stadt und Verein vor allem einem Mann namens Decio Corrubolo zu verdanken.
Dieser Decio Corrubolo wird vorwiegend Professor Corrubolo genannt. Ein Umstand, der auf seine Professur zurückzuführen ist: Corrubolo ist zu jenem Zeitpunkt Lehrer am Liceo Maffei.
Gemeinsam mit einer Gruppe von Schülern und Freunden will der Professor einen Fußballverein gründen; dieses so englische Spiel hat es jedem Einzelnen der Gruppe angetan.
Nur über den Namen ist man sich zunächst unschlüssig. Doch Corrubolo hat einen Geistesblitz, er wirft den Namen Hellas in die Runde – wenig überraschend für die beteiligten Schüler und Freunde, da Professor Corrubolo zu jenem Zeitpunkt – natürlich – Lehrer für Griechisch am Liceo Maffei ist. Hellas, das steht für die jungen Gründer sowohl für Griechenland als in jenem Kontext folgerichtig auch als synonym für Heimat.
Der Mitgründer Fratta Pasini, ein Graf aus einer noch heute sehr berühmten Veroneser Familie mit ewiger Historie, wird erster Präsident des neuen Vereins, erster Torhüter sowie zusätzlich erster Kapitän des neugegründeten Vereins in Personalunion; man sammelt ganze 32 lire als erstes Startkapital – leider ist es mir nicht mehr möglich, jenen Betrag in unser heutiges Zeitalter „übersetzen“ und benennen zu können.
Präsident, Spieler, Kapitän – alles ist also ziemlich schnell vorhanden, in diesem Oktober 1903. Ein Trikot, das gibt es hingegen noch nicht, die Spieler spielen in „irgendwelchen“ eigenen Shirts. Erst später kommt das heute wohlbekannte Trikot in den so geläufigen Farben hinzu – doch schon damals, in jenem Oktober 1903, einigt man sich auf die Vereinsfarben der neugegründeten Associazione Calcio Hellas: Gialloblù, gelb und blau, in Anlehnung an die Stadtfarben der stolzen Città di Verona.
Noch heute erinnert eine Gedenktafel am Liceo Maffei an die dort stattgefundene Gründung des Vereins im Oktober 1903.
Der Grundstein war also gelegt: Die Reise konnte beginnen. Und auch die mentalità calcio-Reise nimmt hier ihren Anfang, am Liceo Scipione Maffei, mit Professor Corrubolo und Graf Fratta Pasini. Andiamo!