hvfc – baby gialloblù

Die Gemeinsamkeiten sind auffällig. Linksverteidiger. Schottland. Aus der Jugend eines Vereins aus Edinburgh. Die Geburtsorte? Unterschiedlich. Dennoch haben beide den – für britische Spieler durchaus (noch) ungewöhnlichen – Weg nach Italien angetreten. Richtig: Die Rede ist von Aaron Hickey und Josh Doig. Während Hickey seit Sommer wieder auf der Insel, genauer gesagt: in Brentford, beheimatet ist, hat Josh Doig den quasi umgekehrten Weg von der Insel auf den Stiefel angetreten. Von Edinburgh nach Verona. In eine Stadt also, die seiner Geburtsstadt Edinburgh – insbesondere der Old Town, zu schottisch Auld Toun – definitiv in nichts nachsteht. Nun gut, vielleicht in der wichtigen Kategorie „Verhältnis – Pubs zu Einwohnern“, aber auch da wird der geneigte Bier-Liebhaber in Verona fündig. Versprochen. Für Tipps kann man gerne auf mich zukommen. Doch lassen wir Birrificio della Scala und The Ferry Brewery mal außen vor und widmen uns schottischen Linksverteidigern.

Während Hickey im Sommer 2020 den Weg nach Bologna antrat, um dann schlussendlich nach einem ersten Findungsjahr in der letzten Saison 2021-22 in der Serie A so richtig einzuschlagen (36 Spiele, 5 Tore, 1 Assist) und anschließend in das „gelobte Land“ Premier League zu wechseln, landete Josh Doig nun also in diesem Sommer 2022 etwas weiter nördlich im Belpaese: In Verona.

Bereits in den ersten Wochen nach seiner Ankunft kristallisierte sich heraus, dass den Scaligeri mit Doig ein durchaus interessanter Deal gelungen war. Ein Deal, der auch aus der Feder des ehemaligen Sportdirektors Tony D’Amico hätte stammen können – oder vielleicht sogar noch stammt, wer weiß das schon.

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Die Vorbereitung sowie der darauffolgende Saisonstart verliefen bekanntlich nur selten und generell nur wenig harmonisch in der norditalienischen Stadt. Das Umfeld fühlte sich aufgrund der Verkaufsstrategie völlig zurecht einmal mehr beinahe gedemütigt, die kurzfristige Strategie des Vereins schien ein weiteres Mal Fragen in vielerlei Hinsicht aufzuwerfen. Neu-Trainer Gabriele Cioffi betonte nach den ersten vier Spieltagen, welche allesamt nicht erfolgreich gestaltet werden konnten (2-5 gegen Napoli, 1-1 in Bologna, 0-1 gegen Atalanta, 1-1 in Empoli), auffallend häufig, dass diese Mannschaft ja noch gar nicht seine Mannschaft sei. Nun gut, Eingewöhnungszeit war ihm gegeben, die Kritik im Vereinsumfeld richtete sich ohnehin wie gewohnt gegen Präsident Maurizio Setti sowie den so kritisch beäugten, neuen Sportdirektor Francesco Marroccu, der zuvor in Brescia tätig gewesen war.

Trotz der mageren Ausbeute in den ersten Spielen konnte man teilweise ansehnliche Leistungen zeigen, doch den Veroneser Protagonisten war vor dem fünften Spieltag, einem Heimspiel gegen die Freunde von Sampdoria, bereits bewusst: Angesichts der darauffolgenden Spiele bei den Laziali sowie in Florenz musste ein Sieg gegen Samp her.

Und tatsächlich: Gegen die Bluecerchati bot Cioffi zum ersten Mal eine Mannschaft in seinem bevorzugten Spielsystem auf. Statt dem in den Spielen zuvor praktizierten, eher klassischen 3-5-2-System ließ Cioffi die Mannschaft erstmals in „seinem“ 3-4-2-1 spielen. Wie in den Wochen kurz nach Amtsantritt bereits von ihm angekündigt – und das mit merklichen Verbesserungen.

Schauen wir uns die aufgebotene Mannschaft doch einmal genauer an, die den Gegner aus Genua mit 2-1 bezwingen konnte und damit den ersten Dreier der Saison holte:

Montipò – Dawidowicz, Coppola, Hien – Terracciano, Veloso, Ilic, Doig – Lasagna, Lazovic – Henry.

Fangen wir mal in der Defensive an. Neuzugang Isak Hien, ein 23-jähriger Schwede, der im Sommer aus Stockholm von Djurgarden an die Etsch gekommen war, feierte sein Startelfdebüt für die Gialloblù. Die Personalie Dawidowicz ist hingegen weniger erwähnenswert als jene namens Diego Coppola.

Vor Saisonstart noch von mentalità calcio als der player to watch der Veroneser für diese Saison angepriesen, hat sich der gebürtige Veroneser Coppola in kürzester Zeit in die Stammelf gespielt. Das heißt: Nachdem der italienische Juniorennationalspieler zum Saisonauftakt gegen Napoli noch ohne Einsatz geblieben war, spielte der 18-jährige in allen vier folgenden Partien von Anfang bis Ende durch – und wusste mehr als nur zu überzeugen. Sein Weg scheint vorgezeichnet, die Personalien Kumbulla, Lovato, Casale und co. lassen grüßen.

Wandern wir weiter ins Mittelfeld. In der Zentrale keine großen Überraschungen: Veloso und Ilic durften von Beginn an ran. Ist der Portugiese Veloso gesund und fit, führt am capitano weiterhin kein Weg vorbei, das zeigt er immer wieder eindrucksvoll. Auch über den Serben Ivan Ilic, der trotz lukrativer Angebote hochdekorierter Vereine durchaus überraschend in Verona blieb, muss man nicht viele Worte verlieren. Zu stark spielte Ilic in den vergangenen Monaten, zu wichtig ist er geworden, als müsste man ihn hier nochmal ausdrücklich hervorheben. Heißt: Fokus auf die Herren Doig und Terracciano. Und bevor wir den Kreis zurück zur Einleitung und damit zum Schotten ziehen – nun, wollen wir uns doch zunächst etwas ausführlicher dem jungen Italiener und Faraoni-Ersatz Filippo Terracciano widmen, denn der ist wie Coppola ebenfalls gebürtiger Veroneser – und trägt einen ganz und gar nicht unbekannten Nachnamen in Sphären von Hellas Verona.

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Bereits vier Jahrzehnte zuvor trat ein Spieler mit dem gleichen Nachnamen wie Filippo in die Jugend von Hellas Verona ein: Antonio Terracciano. Der zentrale Mittelfeldspieler sollte später sogar Teil des Kaders der Meistermannschaft 1985 sein, wenngleich nur mit einem Einsatz im italienischen Pokal.

Terracciano blieb bis zur Winterpause 1989-90 in Verona, verließ den Verein dann in Richtung Serie B nach Triest. Der gebürtige Veroneser kam über fünf Jahre zu 30 Serie A-Spielen für die Mastini und absolvierte zudem sogar ein Spiel im UEFA Cup, im Achtelfinale 1987-88 gegen Sportul Bukarest.

Über die Rolle eines Ergänzungsspielers kam auch der Schotte Joe Jordan in der Saison 1983-84 nicht hinaus, demselben Jahr, in welchem Antonio Terracciano als Nachwuchsspieler zum erweiterten Kader stieß. Jordan hingegen war bereits ein Routinier, kam über die Stationen Leeds United, Manchester United und Serie B-Team AC Milan nach Verona in die Serie A. Die jüngeren Stürmer Iorio und Galderisi bekamen in der Folge allerdings häufig den Vorzug, Jordan absolvierte daher lediglich 12 Partien für die Veroneser in der Serie A, nahm allerdings eine wichtige Rolle als eine Art Mentor für die jüngeren Stürmer ein. In diesen 12 Spielen erzielte der schottische Stürmer genau einen Treffer im Rahmen eines 1-0 Heimsieges gegen Sampdoria. Es war der erste Serie A-Treffer eines schottischen Spielers für Hellas Verona – und es sollte für lange Zeit der letzte bleiben.

Genauer gesagt: Es sollte für 38 Jahre der letzte Treffer eines Schotten für die Veroneser in der Serie A sein. Bis zu einem 2-1 Heimsieg gegen – ausgerechnet – Sampdoria am Sonntag, dem 04.09.2022. Den Treffer erzielte der zu Beginn angesprochene Josh Doig. Zudem in der Startelf: Filippo Terracciano, Sohn des früheren Hellas-Mittelfeldspielers Antonio Terracciano.

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Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Eine dämliche, irreführende Phrase – in welchem Kontext soll auch etwas anderes als der Fußball selbst Geschichten im Fußball schreiben. Aber genug Stammtisch-Philosophie, konzentrieren wir uns auf die Fakten: 38 Jahre, nachdem der damalige Hellas-Mittelfeldspieler Antonio Terracciano im erweiterten Kader der Veroneser stand, in einem Spiel gegen Sampdoria, in welchem ein Schotte das bis dato einzige Tor in der Serie A in der Veroneser Vereinsgeschichte erzielte, trifft ein anderer Schotte zum Siegtreffer für Verona an der Seite des Sohnes von Antonio Terracciano. Schöne Zufälle gibt es im Fußball allemal, das ist Fakt.

Filippo Terracciano seinerseits gilt bereits seit vielen Jahren als vielversprechendes Talent, ob der Verbundenheit seiner Familie zu seiner Geburtsstadt Verona, konnte er auch des Öfteren diversen Avancen anderer Vereine widerstehen. Nun hat er den endgültigen Sprung in die erweiterte Stammelf der Gialloblù geschafft, mit zarten 19 Jahren. Sein Kurzdebüt feierte er bereits in der vergangenen Saison mit einem Kurzeinsatz gegen Empoli – es ist gut möglich, dass der junge Mann, der sowohl im zentralen Mittelfeld als auch auf der rechten defensiven und offensiven Außenbahn eingesetzt werden kann, bereits in dieser Saison seinen Vater in puncto Serie A-Einsätzen übertrumpfen können wird.

Josh Doig hingegen steht nach nur drei Einsätzen für Verona bereits bei einem Treffer und einem Assist, hat seinen Landsmann Jordan in der Kategorie Scorerpunkte somit bereits übertrumpfen können. Das Zusammenspiel mit Lazovic, das ständige Rotieren der beiden offensiv-geprägten „Außenverteidiger“, war ein spielbelebendes und spannendes Element im Rahmen des Heimsieges gegen Samp. Und damit definitiv auch ein Element, welches in Zukunft für große Freude in Verona sorgen kann.

Lazovic kam also wie angesprochen auf der linken offensiven Halbposition zum Einsatz, während Kevin Lasagna die Position neben ihm bekleidete, für viele etwas überraschend, hatte doch Neuzugang Yayah Kallon (Genoa) den Ausgleichstreffer in Empoli erzielen sowie eine sehr ansprechende Leistung zeigen können. Langfristig wird Kallon mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Lasagna den Rang ablaufen können, auch die Neuzugänge Ajdin Hrustic (SGE) und allen voran Simone Verdi (Torino) werden in den kommenden Wochen ernstzunehmende Alternativen für die beiden Positionen.

Kallons Unbekümmertheit erinnert in den ersten Minuten im Hellas-Trikots sehr an jene von Ebrima Colley, der damals unter Ivan Juric ein ums andere Mal als Einwechselspieler für frischen Wind sorgen konnte. Der junge Sierra-Leoner Kallon wird hingegen wohl noch für wesentlich größeren Impact als Colley sorgen können – übrigens ist Yayah nicht verwandt mit dem früheren Inter-, Vicenza- und Monaco-Stürmer Mohamed Kallon.

An vorderster Front agierte erneut der französische Neuzugang Thomas Henry, der Pech hatte, dass sein Lattentreffer, der zunächst an den Rücken von Sampdoria-Keeper Audero und erst dann ins Tor sprang, nicht als sein dritter Saisontreffer gewertet wurde. An Henry in der Stammelf wird kein Weg vorbeiführen, er knüpft nahtlos an die Leistungen der letzten Saison im Dress von Absteiger Venezia an.

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„Scatta con i millenials“, titelte die Gazzetta dello Sport über den Veroneser Sieg, sinngemäß in etwa „Verona stürmt los mit den Millenials“. Das ist sicherlich richtig. Die jungen Wilden Coppola, Doig, Kallon und Terracciano haben für ordentlich frischen Wind in der Mannschaft gesorgt, hinzu kommt noch der kolumbianische Neuzugang Juan Cabal, der seine Einsatzzeiten erhalten wird.

Ein spannendes Konzept, das deutete sich schon im Sommer an. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die Situation langfristig entwickeln wird. Die Unerfahrenheit der baby gialloblù kann sich im langfristigen Saisonverlauf sicherlich auch als Nachteil erweisen, insbesondere in einem negativen Szenario, falls man sich im Abstiegskampf befinden sollte. Das Sampdoria dieser Tage sollte kein wirklicher Gradmesser sein, zu lethargisch und schwach wirkt das Team von Coach Marco Giampaolo in diesen ersten Wochen der Saison.

Der Sieg hat den Veronesern, allen voran den jungen Akteuren, aber ordentlichen Auftrieb gegeben. Man darf gespannt auf die kommenden Wochen sein – und auf die kommenden Monate. Gut möglich, dass im Falle einer weiter positiven Entwicklung Josh Doig abermals denselben Weg wie Aaron Hickey beschreiten wird. Ebenfalls nicht zurück nach Schottland, eher in Richtung Premier League und London. Bis dahin gilt für Doig allerdings das gleiche Credo wie für die restlichen Spieler im Kader der Scaligeri: Punkte sammeln und Klassenerhalt eintüten. Verona will auch eine fünfte Saison in Folge in der Serie A.

tifoso del verona