hvfc – meglio soli che male accompagnati

Es ist Samstag, ein warmer Septemberabend am Lago di Garda. Genauer gesagt schreiben wir den 19. September des Jahres 2020 – ein Jahr wie kein anderes zuvor: Corona-Ausbruch, Todesfälle. Pandemie. Reiseverbote. Binnen wenigen Wochen und Monaten war nichts mehr auf unserer Welt, wie wir es einmal kannten. Auch die Welt des calcio ist zu diesem Zeitpunkt gebeutelt von den vergangenen Monaten, irgendwie hat man es allerdings dann doch geschafft, die Serie A unter teils mehr oder weniger widrigen Umständen durchzuziehen. Hellas Verona schloss so die zu diesem Zeitpunkt zurückliegende Saison beispielsweise am 02. August 2020 (!) mit einer 3-0 Niederlage bei Genoa ab – und mit einem grandiosen 9. Platz, als Aufsteiger: Noch wenige Monate zuvor schien dies leistungstechnisch undenkbar zu sein.

Tatsächlich wird in dieser schwierigen Zeit nicht nur der Fußball irgendwie „durchgezogen“. Auch der Tourismus soll (und muss) vielerorts (über-) leben. Maskenpflicht, Einreisebeschränkungen, Quarantänepflicht – das alles klingt heute bereits weit weg. Die Welt ist schnelllebig. Italien hat zu diesem Zeitpunkt pünktlich zum Start der süddeutschen Sommerferien ebenfalls alle Einreisebeschränkungen aufgehoben. Auch ins Veneto darf man seit Ende Juli wieder einreisen – und das, obwohl noch wenige Wochen vorher ein wahrer Corona-Hotspot in der norditalienischen Region ausbrach. Ein irgendwie passendes Setting für diese Story mit „kriminellen“ Elementen auf mentalità calcio – und nein, hier geht es nicht um dubiose Maskendeals, auch nicht um Settis noch dubiosere Machenschaften oder irgendwelche Korruptionsskandale in der schönen Welt des italienische Fußballs. Aber der Reihe nach.

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Die Serie A beginnt an diesem 19. September 2020 wieder. Es ist der erste Spieltag der neuen Saison 2020-21. Den Auftakt machen die Fiorentina und Torino, ehe im Abendspiel dann Verona auf die Roma trifft. Zuschauer? So weit sind wir noch lange nicht. Die Öffentlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt weiterhin aus den italienischen Stadien ausgeschlossen.

Auch ich konnte nicht widerstehen – nach der „Öffnung der Grenzen“ mussten auch meine Freundin und ich wieder gen Süden. Nach Verona, ins Veneto. Abschalten, entspannen. Leider ohne Stadionbesuch im Bentegodi, dieser war schließlich noch nicht möglich. Ich verabredete ich mich nichtsdestotrotz mit zwei Freunden, die ebenfalls gerade auf Italientour waren, um ihnen diese mystische Stadt zu zeigen. Verona. Dennoch entschieden wir uns aufgrund der unerträglichen Hitze der Stadt (und aufgrund der jeweiligen Übernachtungslokalitäten) dazu, den späten Nachmittag und Abend in Peschiera del Garda zu verbringen – wie der Name suggeriert, liegt Peschiera am Lago di Garda. Die Zugfahrt von Verona Porta Nuova nach Peschiera del Garda ist ein Katzensprung.

Zunächst kehren wir auf ein, zwei kalte birre in eine Lokalität ein. Eine, die ich eigentlich meide, wenn ich in Peschiera verweile. Zu viele Touristen auf einem Fleck, alleine der Lage wegen. Auch die Karte ist dementsprechend eher auf den klassischen Urlauber der Marke deutscher Michel oder niederländischer Joris ausgelegt, doch ich habe mich heute bewusst mit meinen beiden Kollegen für einen Zwischenstopp an diesem Ort entschieden. Denn: Das Gustosa, so der Name des Restaurants, gehört einer Familie mit dem Namen Kumbulla.

Nach einem kurzen Stopp im Gustosa machen wir uns auf den Weg in eine kleine Sportsbar, außerhalb der touristischen Zentren der von den Venezianern sowie Scaligeri geprägten Kleinstadt. Dort verfolgen wir wie Hellas Verona im ersten Spiel der Saison ein solides 0-0 gegen die große AS Roma erkämpft. Nur einige Tage später lese ich dann in der Gazzetta dello Sport – die Roma hat einen nicht spielberechtigten Akteur aufgeboten. Ein Formfehler, der Mittelfeldspieler Amadou Diawara betrifft. Verona gewinnt mit 3-0 am grünen Tisch.

Für die Kameras ist am Abend des Spiels im Bentegodi allerdings vor allem ein Akteur auf der Ersatzbank der Gäste interessant, der immer wieder eingeblendet wird. Es ist Marash Kumbulla, ein Verteidiger, der zwei Tage zuvor in einem spektakulären Deal von Verona zur AS Roma wechselte. Und damit unfreiwillig eine kleinere Nebenrolle in dieser Geschichte mit dem ein oder anderen True Crime-Element einnimmt.

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Marash Kumbulla ist zu diesem Zeitpunkt gerade 20 Jahre alt. Er ist hier, in Peschiera del Garda in der Provinz Verona, geboren. Ist hier zur Schule gegangen. Er hat bis zum Tag seines Wechsel, dem 17.09.2020, für keinen anderen Verein gespielt, außer für Hellas Verona. Kumbulla durchlief sämtliche Jugendmannschaften der Veroneser, gilt als eines der größten Innenverteidiger-Talente europaweit. Bereits mit 18 Jahren kann er sein Ligadebüt in der Serie B für die Gialloblù feiern, reifte in der Folgesaison unter Ivan Juric zum Stammspieler und infolgedessen zu einem der meistgefragten Innenverteidiger auf dem Transfermarkt. Gerüchte um einen Wechsel zu Juventus, den Mailänder Klubs oder auch nach England halten sich hartnäckig.

Kumbulla selbst hingegen gibt sich immer sehr bescheiden. Er kommt aus einer Einwandererfamilie, seine Eltern kamen einige Jahre vor seiner Geburt aus Albanien nach Peschiera, die Familie nutzte ihre Chance in der Gastronomie – unter anderem mit dem Gustosa. Keinem der hier zahlreich anwesenden Touristen ist bewusst, dass ein Mitglied der Familie für schlappe € 26,50 mio seinen Fußballverein wechseln wird – die Destination, für die sich der junge Mann entscheidet, ist die AS Roma von Paulo Fonseca, dem Vorgänger von José Mourinho. 

Durchaus überraschend, fiel in den vergangenen Tagen doch vor allem der Name des römischen Erzrivalen Lazio. Doch die Roma bietet das größte Gesamtvolumen für Kumbulla, auch aus Sicht der Veroneser. Als Teil des Deals mit dem albanischen Nationalverteidiger wechseln zwei Talente aus der römischen Primavera gen Norden an die Adige. Der vielversprechende Matteo Cancellieri, einst als großes Talent gehandelt doch inzwischen in seiner Entwicklung etwas stagnierend, wechselt zu den Veronesern. Zudem vervollständigt der junge Linksverteidiger Aboudramane Diaby den Deal, der gebürtige Römer mit malischen Wurzeln gilt ebenfalls als Spieler mit Potenzial.

Wir machen einen kleinen Zeitsprung in die Gegenwart: Während Kumbulla nach einer langen von Verletzungen geprägten Leidenszeit in der Wintertransferperiode 2023-24 auf Leihbasis nach Sassuolo wechselte, spielt Cancellieri zwischenzeitlich als Leihgabe der SS Lazio bei Empoli in der Serie A.

Was das alles nun mit True Crime zu tun hat?! Nun ja, vorab so viel: Aboudramane Diabys letzter Einsatz als Profifußballer datiert vom 14.09.2022, als die Hellas-Leihgabe für Imolese Calcio in der drittklassigen Serie C zum Einsatz kommt.

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Aboudramane Diaby erblickt das Licht der Welt in Rom am 09. Oktober 2003, einem Donnerstag. Der Sohn malischer Eltern wächst in einem der Viertel in Rom auf, die nicht unbedingt zu den besten Lagen der Stadt gehören.

Doch Diaby scheint das Maximum aus der Situation zu machen. Schon zu Kindestagen lässt er sein Talent am Ball aufblitzen, Diaby wechselt früh in die Akademie der Roma und durchläuft sämtliche Jugendmannschaften der Giallorossi, ehe er in der U17 schließlich zum erweiterten Stamm gehört.

Diaby kann sowohl Links- als auch Innenverteidiger spielen, er absolviert in der Saison 2019-20 16 Partien für die U17 der Römer, man kann ihn in der zweiten Saisonhälfte als unbestrittenen Stammspieler bezeichnen. 

Wohl schon zu diesem Zeitpunkt kristallisiert sich für die Römer allerdings heraus, dass der mit Talent gesegnete Diaby Probleme im Umfeld hat, die sich nicht so einfach ausblenden und wegdiskutieren lassen.

Die Roma kämpft derweil um die Verpflichtung von Marash Kumbulla, dessen Charaktereigenschaften abseits des Feldes als komplett unterschiedlich zu jenen des jungen Römers beschrieben werden können – und das führen die Verantwortlichen der Roma sicherlich nicht nur auf den (geringen) Altersunterschied zurück. 

Letztendlich, so der Gedankengang, könne ein Weggang Diabys aus seiner römischen Heimat, seinem gewohnten Umfeld, vielleicht nochmal anderweitige Kräfte freisetzen, um so sein unbestrittenes Talent auszuschöpfen. 

Kumbulla wechselt dann bekanntlich nach Rom, Cancellieri und Diaby nach Verona. 

Hellas Verona zahlt hierbei offiziell knappe € 4,0 mio für Cancellieri und auch letzterer wechselt für € 2,5 mio ins Veneto – die Bewertungen beider Spieler zu diesem Zeitpunkt sind natürlich grober Unfug, insbesondere der Diaby-Verkauf nach Verona ist daher inzwischen Teil einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft Rom.

Diese Summen beschreiben wohlgemerkt jeweils die reine Ablösesumme nach den einjährigen Leihen mit einem Volumen über je € 500.000 – absurd, natürlich, insbesondere eben im Falle des Verteidigers, der in der Veroneser U19 einem Nachweis seines Könnens quasi vollständig schuldig bleibt. Cancellieri hingegen findet sich schnell in Verona ein, spielt bald in der ersten Mannschaft sowie der italienischen U21 und wechselt schließlich für knappe € 8,0 mio zurück nach Rom zu Lazio.

Diaby hingegen sammelt 20-21 neun Einsätze für die Primavera der Gialloblù, ehe er 2021-22 fast gar nicht mehr zu Einsätzen kommt. Es läuft sportlich nicht, und auch privat wird er sein Umfeld aus Rom nicht los.

Am 22. März 2022 marschiert dann die Polizei in Diabys Elternhaus in Rom ein. Nur drei Tage zuvor absolviert der Römer für die Veroneser Primavera noch eine Partie gegen die AC Milan, kommt sogar über 20 Minuten zum Einsatz. Für ihn ist es die erste Partie seit Monaten – und es wird bis auf eine Partie für die Veroneser U18 auch der letzte Einsatz für alle Zeiten im Dress der Scaligeri bleiben.

Die Polizei marschiert an diesem Dienstagmorgen des 22.03. nicht umsonst bei Diaby ein. Die Räumlichkeiten werden durchsucht, 2,5 Kilogramm Haschisch werden beschlagnahmt. Diese können Diaby zu jenem Zeitpunkt aber nicht einwandfrei zugeordnet werden, Verona hält daher gemäß der Unschuldsvermutung am jungen Verteidiger fest. Zwar absolviert er keine Einsätze mehr, doch Diaby ist einige Male immerhin noch Teil des Kaders der Primavera.

Die Verantwortlichen in Verona glauben wie zuvor jene der AS Roma weiterhin an das fußballerische Potenzial von Diaby. Auch in Verona entscheidet man sich für eine Leihe und hofft, dass Diaby in der Kleinstadt Imola beim dortigen Imolese Calcio 1913 ins richtige Umfeld und somit wieder auf die Beine kommt. 

Diaby wechselt im Alter von noch immer zarten 19 Jahren im Sommer 2022 also nach Imola in die drittklassige Serie C, wo es für ihn einen weiteren Neuanfang geben soll.

Am dritten Spieltag der Saison 22-23 darf er gegen Robur Siena von Beginn an spielen, doch der als Innenverteidiger agierende Spieler wird in der Halbzeit ausgewechselt – Imola bietet eine desaströse Defensivleistung dar, liegt zu diesem Zeitpunkt bereits mit 0-3 zurück.

Es wird Diabys einziger Profieinsatz für Imolese bleiben. Zunächst fehlt er angeschlagen, dann kommt er im Oktober 2022 nochmals für die Primavera zum Einsatz, ehe er ab November nur noch sporadisch im Team zu finden ist. Er sei in seinem Drogendelikt wohl doch nicht so unschuldig gewesen, wie angenommen wurde, wird vermutet – und ja, es ist eine Vermutung, die sich nur wenige Wochen später bestätigt.

Am Abend des 27. Februar des Jahres 2023 fährt ein Streifenwagen zufällig am Elternhaus von Diaby vorbei. Ihnen fällt auf, dass sich Diaby mit einem weiteren Mann in einem Auto vor dem Eingang befindet. Sie entschließen sich dazu, den PKW genauer unter die Lupe zu nehmen.

Schnell wird klar, dass es sich um ein von Diaby angemietetes Fahrzeug handelt – ganz nebenbei werden im Auto € 60.000 in bar gefunden. Anlass genug für eine weitere Hausdurchsuchung bei dem noch immer 19-jährigen Spieler, dessen Vertragsende im Sommer bei Hellas Verona längst beschlossene Sache ist.

Als die Polizisten daraufhin das Haus genauer unter die Lupe nehmen will, bemerken sie, wie die kleine Schwester des früheren Roma-Akteurs kleine Verpackungen aus dem Fenster wirft. Es sind etwa 160 Gramm Haschisch sowie zwei Gramm Kokain, wie die Ordnungshüter später feststellen – Diaby versendete kurz zuvor noch sehr aufgeregt diverse Nachrichten, die sich später als Nachrichten an die Schwester herausstellen. 

Die Behörden inklusive der Anti-Mafia-Direktion ermitteln unentwegt weiter.

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Wenige Wochen zuvor, am Tag vor Heiligabend des Jahres 2022, wird ein Mann namens Danilo Valeri vor einem Restaurant in der berühmt-berüchtigten Römer Gegend um die Ponte Milvio auf offener Straße entführt. 

Das Tatfahrzeug ist ein schwarzer Fiat Punto – dieser wird einige Tage später mit einem jungen Mann aus Neapel und einem Kilogramm Kokain angehalten. Dieser junge Mann steht offenbar allerdings in keiner Verbindung zu dem Entführungsfall Valeri.

Die Ermittler gehen davon aus, dass das Auto zu einer Bande gehört, die im organisierten Drogenhandel tätig ist. Unterstützt wird diese Vermutung dadurch, dass Danilo Valeri der Sohn von Maurizio Valeri ist, besser bekannt als Il Sorcio. Der Sorcio entstammt einer der einflussreichsten kriminellen Familien aus der Gegend von San Basilio im Nordosten Roms, kontrolliert dort laut den Ermittlern große Teile des organisierten Drogenhandels.

Der Sohn kommt frei, jedoch erst als Il Sorcio eine große Summe Lösegeld zahlt.

Es folgen monatelange Ermittlungen. Und dann, am 13. Februar 2024, folgt der Durchbruch: Ein Dominikaner namens Osvaldo Isaac Jiménez Gonzalez soll Danilo Valeri gemeinsam mit einem weiteren Mann aufgrund von Schulden aus Drogendeals entführt haben – der zweite Entführer, so ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, ist der ehemalige hoffnungsvolle Fußballer Abdouramane Diaby. 

Drogenbesitz und -handel, Entführung zum Zweck der Erpressung – auf Diaby kommen schwere Anklagen zu.

Und die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Wem gehört der Fiat Punto? Handelten Jimenez und Diaby auf eigene Faust oder steckt eine organisierte Bande dahinter? Die Indizien sprechen eine deutliche Sprache.

l’epilogo

Es ist komisch: Ich muss oft an die Einleitung dieser Geschichte denken. Das ganze Setting wirkt auch im Nachhinein komplett surreal – Corona, das „fremde“ Reisen, ein Heimspiel vor leeren Rängen, der Wechsel von Kumbulla zu genau diesem Zeitpunkt und dann dann auch noch etwas überraschend zur Roma. Klar, und nun auch noch die Vorkommnisse um Aboudramane Diaby.

Und so werde ich irgendwann im Laufe der kommenden Monate sicherlich wieder an meinem eigentlichen Platz dort sitzen, in Peschiera. An einer kleinen Bar am Ufer des Lago di Garda, in Sichtweite des Hafens und beinahe auch des Gustosa der Familie Kumbulla. 

Nur selten sitzen hier Touristen. Warum, kann ich nicht sagen – die Cocktails haben ein herausragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Entspannt ist es ebenfalls. Das kleine Hellas Verona-Fähnchen sowie der Wimpel auf der anderen Seite der Bar tragen ihr Übriges zu diesem positiven Gesamteindruck bei. 

Die Ohren werden dann den hektischen Sprechern des etwas zu lauten Radio Verona lauschen, das im Hintergrund unaufhörlich knistert. Die Augen werden über den See schweben, bis hin zum Horizont, wo sie dann irgendwann auf lombardischer Seite (fiktiv) auf Brescia treffen. Und die Gedanken, die werden um das Leben selbst kreisen – wie schön und einfach es sein kann, in solchen Momenten. Wie immer, wenn ich dort in den vergangenen Jahren gesessen bin, werden sich die Gedanken auch dann wieder um diesen so ungewöhnlichen Sommer in diesem noch ungewöhnlicheren Jahr 2020 drehen. 

Das alles hat sich irgendwie tief in meinem Gedächtnis eingebrannt – jetzt mit der Diaby-Story nochmal umso mehr. 

Und natürlich werden die Gedanken auch immer wieder um Hellas Verona kreisen. Vielleicht auch etwas zu oft um Hellas Verona. Verdammt, warum überhaupt um Hellas Verona?! Ich weiß es nicht. Ovunque Hellas eben, offensichtlich insbesondere in meinem Kopf…

tifoso del verona