status quo – hvfc

Dieser Beitrag erschien zunächst in leicht abgewandelter Form im transfermarkt.de – Forum.

Es sind mal wieder düstere Zeiten an der Adige. Zwar ging es sportlich in den letzten Wochen etwas bergauf (1-1 gegen Lazio, 0-1 in Florenz, 2-0 gegen Cagliari), ehe man am Tag vor Silvester gegen den bisherigen Tabellenletzten aus Salerno mit 0-1 verlor – so stehen die Veroneser aus Platz 17, punktgleich mit dem 18. aus Cagliari – doch die Niederlage gegen Salernitana war nicht die einzige Hiobsbotschaft der vergangenen Tage.

Aber der Reihe nach. Es wird kompliziert, versprochen. Die sportliche Situation ist gerade nicht wirklich relevant.

Bereits vor Wochen habe ich die derzeitige Situation in Verona detailliert geschildert. Ich habe zudem dieses vermeintliche Konsortium, bestehend aus amerikanischen und britischen Investoren unter Führung des unpopulären früheren Sportdirektors Francesco Marroccu, erwähnt – obwohl die Übernahme des Vereins durch jenes offensichtlich kurz bevorstand, ist es seitdem erstaunlich ruhig um den Verkauf des Vereins durch Präsident Maurizio Setti geworden. Und das hat Gründe.

„Verkaufen oder Sterben“ titelte Hellastory vor wenigen Tagen. Viel Dramatik, die in diesem Falle tatsächlich mehr als nur angebracht ist. Isak Hien ist bereits fix nach Bergamo gewechselt, gemeinsam mit Primavera-Bomber Siren Diao. Josh Doig steht vor einem Abgang (Sassuolo, Torino, Bologna), ebenso Eigengewächs Filippo Terracciano (Milan, Florenz.) Weitere werden folgen (Ngonge, Hongla). Ein Aderlass im Januar, nachdem man im Sommer diverse Millionengebote abgelehnt hatte? Merkwürdig. Oder doch nicht?

Wie nun bekannt ist, Verona schloss die Saison 2022-23 mit einem Verlust von € 11,7 mio ab. Das schlechteste Ergebnis, seit Setti den Verein 2012 übernommen hatte. Bereits in der Weihnachtswoche erfolgten Hausdurchsuchungen und Untersuchungen bei Setti und anderen Leuten im Vereinsumfeld, offensichtlich wurden sogar Settis Vereinsanteile aufgrund der Untersuchung wegen „betrügerischen Bankrotts“ eingefroren und beschlagnahmt. Bereits in den vergangenen Jahren gab es mehrfach Untersuchungen seitens der Guardia di Finanza, damals offiziell allerdings nicht Hellas Verona betreffend, sondern vielmehr Settis Modeunternehmen „Manila Grace“. Tatsächlich hielten sich schon damals hartnäckig Gerüchte, der Präsident habe mit Geldern aus der Hellas-Kasse anderweitige Löche in seinem Firmenkosmos geflickt. Diese hatte Setti heftigst dementiert.

Nun also die Zahlen, schwarz auf weiß. Oder, besser: rot auf weiß.

€ 11,7 mio Verlust – wohlgemerkt trotz der Rekordeinnahmen im Zeitraum der Setti-Ära in Höhe von € 30,9 mio. Im relevanten Bilanzierungszeitraum betraf dies folgende Einnahmen: € 8 mio für Ilic, 6,7 für Casale, 5,4 für Caprari, 3,6 für Simeone, 2,5 für Barak und € 0,8 mio für Ivor Pandur).

Dieser Verlust lässt sich laut Hellastory auf drei Gründe zurückführen:

– Anstieg der Personalkosten, insbesondere durch die Erhöhung von ergebnisabhängigen Prämienzahlungen (Anstieg von € 15,5 mio im Vergleich zu 2021-22). Interessant hierbei: Die variablen Bonizahlungen haben sich hierbei verdreifacht, stiegen 2022-23 auf € 12,5 mio. Wohlgemerkt ist dies eine Verdreifachung im Vergleich zu einer Saison 21-22 unter Coach Tudor, die Hellas Verona auf dem neunten Platz beendete. Absurd – doch offensichtlich versuchte Setti, das Wunder der letzten Saison durch Extra-Motivationen in monetärer Form für die Spieler noch reizvoller zu machen. Logisch, diese Prämien dürften von ziemlicher Höhe gewesen sein, immerhin schien der Nichtabstieg zu vielen Zeitpunkten während der Saison unmöglich zu sein…

Für Setti schienen diese horrende Bonuszahlungen aus wirtschaftlicher Sicht jedenfalls das kleinere Übel zu sein als ein möglicher Abstieg in die Zweitklassigkeit.

– Erhöhung der Abschreibungskosten um € 4,2 mio (Mehrjährige Spielerrechte).

– Erhöhung von Finanzaufwendungen auf € 4,5 mio, was einer Vervierfachung im Vergleich zur Vorsaison entspricht. Dies ist auf die gestiegene Verschuldung sowie die generellen Zinserhöhungen zurückzuführen.

Das Vereinsnettovermögen zum 30.06.2023 sank auf € 2,1 mio. Die Gesamtverbindlichkeiten beliefen sich auf € 162,0 mio, überstiegen somit den vermeintlichen Gesamtwert des Vereins um mehr als das Anderthalbfache.

Auch die Nettofinanzposition hat sich deutlich verschlechtert. Diese dient als Kennzahl zur Messung der gesamten Finanzposition eines Unternehmens gegenüber Banken und Kreditgebern, entwickelte sich hierbei von einem Negativ in Höhe von € 32,0 mio zum Stichtag 30.06.2022 zu einem Negativ von €65,6 mio zum Stichtag 30.06.2023. Dieses Ungleichgewicht soll durch kommende und kurzfristig erzielte Kapitalgewinne „abgefedert“ werden. Zudem stiegen auch die Steuerschulden um fast eine Million.

Als Folge jener Kennzahlen wurde durch die Wirtschaftsprüfer eine schriftliche Zusage von Setti gefordert, um diverse Prognosen mit Hinblick auf den Stichtag 30.06.2024 einzuhalten, um so den Geschäftsbetrieb auch gewährleisten zu können.

Eine Prognose für 2023-24 lässt sich hingegen nicht wirklich treffen, allerdings geht Hellastory davon aus, dass…

– eine geringere Abschreibungslast fällig sein wird, man prognostiziert einen Rückgang um über € 6 mio auf ca. € 15,0 mio. Dies ist Sportdirektor Sogliano zu verdanken, der klug und günstig Spieler holte.

– die Finanzbelastungen um mehrere Millionen steigen werden. (Höhere Zinssätze für Schulden, Erhöhung des finanziellen Engagements)

– niedrigere Einnahmen durch Spielerverkäufe auf dem Sommertransfermarkt 2023 generiert wurde , wenngleich hierzu noch wie oben angesprochen weitere Einnahmen folgen werden (wenngleich diese oftmals „spekulativ“ sind, da Verona gerne mit prozentualen Weiterverkaufsbeteiligungen arbeitet).

Verona benötigt auf Basis all jener Zahlen dementsprechend finanzielle Mittel. Diese Mittel können nur durch eine Senkung der Personalkosten sowie die Realisierung anderer Kapitalgewinne im jetzigen Wintertransferfenster bzw. spätestens noch im Juni generiert werden, um so ein negatives Nettovermögen verbunden mit einer Rekapitalisierung seitens Maurizio Setti zu vermeiden. Letzteres wird höchste Priorität für Setti haben.

Ein weiteres Problem für Setti, allerdings scheint die Beschlagnahmung seiner Firmenanteile das heikelste zu sein. Die weitere Entwicklung dieser Causa ist momentan noch ungewiss.

Schlagen wir den Bogen zurück zu dem vermeintlich so interessierten Konsortium, welches ich eingangs erwähnt hatte. In Angesicht der aufgeführten finanziellen Aspekte scheint es nicht verwunderlich, dass sich die Übernahme des Vereins zerschlagen hat.

Dass eine solche Übernahme nicht allzu fern gewesen sein kann, beweist der im Kontext der veröffentlichten Zahlen noch ungewöhnlichere Transfersommer der Mastini, als er für Setti-Verhältnisse ohnehin schien: Wenige Verkäufe trotz vieler hochdotierter Angebote (Ngonge, Hien). Setti wollte mit dem Halten der Leistungsträger schlicht und ergreifend bessere Verkaufsbedingungen für sich schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit des Teams wahren. Nun muss der Deal allerdings geplatzt sein – anders ist das plötzliche Verkaufen diverser Leistungsträger, das in den kommenden Wochen folgen wird, nicht zu erklären.

„Verkaufen oder Sterben“ – „Verkaufen“ von Spielern zum finanziellen Überleben des Vereins, „Verkaufen“ des Vereins zum wirtschaftlichen Überleben von Setti.

Oder eben „Sterben“ – wobei man mit ziemlicher Gewissheit davon ausgehen kann, dass zumindest die sportliche Lage der Veroneser zum Saisonende 23-24 mit einem „Sterben“, sprich: dem Abstieg in die Serie B, enden wird. Alles andere wäre im Kontext der Gesamtsituation ein noch größeres Wunder als der Klassenerhalt in der vergangenen Saison.

Ein Abstieg in die Serie B ist allerdings das kleinere Übel als das nicht allzu unrealistische worst case-Szenario: „Sterben“ im Sinne des vorläufigen Tods von Hellas Verona.

Dunkle Epochen, die vor nicht allzu langer Zeit weit weg schienen. Die curva sud hat es seit vielen Jahren geahnt…

tifoso del verona