benvenuti in italia – la rivalità tra verona e napoli

“Ciao”, sagt Matteo und setzt sich. 

Er bestellt einen caffè. Schaut mich kurz an, und blickt dann auf den vor uns liegenden Platz.

„1985, der 12. Mai. Ich werde die Massen hier auf der Piazza Bra nie vergessen….“ Immer wieder laufen Leute vorbei, die Matteo grüßen. Anderen nickt er zu. 

„Ich weiß noch genau, einige Monate zuvor. Ich glaube, es war das erste Saisonspiel jener Saison. Briegel war neu da, ebenso Maradona. Also, Diego natürlich auf der anderen Seite. Nicht in Gialloblù.“ Matteo lächelt, er weiß, dass diese Information überflüssig war. „Nun gut, auch für mich persönlich war das eine bewegende Zeit. Darüber willst du doch hören, oder?“

Matteo grummelt vor sich hin, der caffè kommt. Er zündet sich eine Zigarette an: Marlboro rot. Er erwidert meinen Blick: „Nunja, das Feuerzeug in azzurro, immerhin das ist mir geblieben.“ Er lacht herzlich. Und beginnt zu erzählen. Von einer Rivalität, die im Ausland oftmals unter dem Radar läuft. Dabei sind sich die jeweiligen Teams alles, nur nicht wohlgesonnen. Es herrscht eine Rivalität, wie man sie in Verona sonst nur mit den Katzenfressern aus Vicenza lebt.

Matteo pustet den Rauch aus und verschluckt sich. „Die Veroneser und ihre Sprichwörter… Vicentini magna gatti, Veronesi tutti matti.“ Der Vicentiner frisst Katzen, der Veroneser ist verrückt (siehe mentalità calcio).

„Aber ja ich muss zugeben, die Veroneser sind schon ein besonderes Völkchen. Lass mir dir doch mal von den zwei Herzen in meiner Brust erzählen…“

Matteo beginnt mit der Geschichte einer dieser ausgeprägten Rivalität, oftmals ausufernd in Hass, zwischen Hellas Verona und der SSC Napoli. Oder zunächst einmal mit seiner eigenen Geschichte. Matteo ist sich da offensichtlich selbst noch nicht so ganz im Klaren.

„Es war zu Beginn des Jahres 1984, als ich aus Napoli kam. Buchhalter war ich, ich hatte im Süden nicht schlecht verdient.“ Matteo ruft den Kellner und bestellt einen Aperol. Viel Aperol, viel Spritz. Matteo hat den Laden im Griff, Fetzen des Veroneser Dialekts klingen bei ihm immer wieder durch. 

„Nun gut, ich kam also aus dem Süden. Der Liebe wegen. Giulia. Eine echte Veroneserin, geboren in Verona, aufgewachsen in Negrar di Valpolicella. Amarone, kein schlechter Wein, oder?“ Matteo lacht. Er schweift immer wieder ab, das Gespräch könnte sich offensichtlich etwas hinziehen. „Aber gut, damals, damals als ich nach Verona kam – ich war noch jung, mein kampanischer Weißwein, das war meins., kein Amarone.“ Der Aperol kommt, die nächste Zigarette wird angezündet.

„Ich kam also aus Napoli an, für Giulia. Zu diesem Zeitpunkt war mir zunächst einmal richtig kalt. Es hatte Minusgrade an jenem Morgen im Januar, das hatte ich mir so nicht vorgestellt, vor allem nicht, als ich Giulia im August des Vorjahres bei Freunden in Rom kennenlernte…“ Er schmunzelt. „Aber es geht hier ja nicht um meine Biografie. In diesem Januar war in Verona noch an keinen Briegel zu denken. An keinen Maradona. Keinen Preben. Das waren spannende Zeiten im calcio. Und ich war glühender Anhänger der SSC, als ich hier nach Verona kam.“ Fast wehmütig schweift Matteos Blick in die Ferne.

„Und das bin ich immer noch. Wenngleich ich seit fast drei Jahrzehnten inzwischen Stammgast im Bentegodi bin. Danke Giulia.“ Matteo lacht herzhaft auf, die beiden amerikanischen Touristen am Nebentisch schrecken auf, ob des plötzlichen Lärms.

„Und ja, ich kann dir viel erzählen über die Rivalität. Ich habe irgendwie… ich will es kaum sagen. In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Für meine Heimat. Und für meine Wahlheimat – oder, zumindest meiner Frau zu Liebe, auch für meine Wahlheimat.“ Er lacht noch lauter auf als zuvor, was dem jungen Paar am Nebentisch, dem Dialekt zufolge aus Wien, ein leicht erbostes Kopfschütteln entlockt.

„Ich kann dir gleich vorneweg sagen: Angefeindet wurde ich hier nie. Früher hörte man meinen neapolitanischen Dialekt noch weitaus mehr…“ – tatsächlich hört man ihn fast gar nicht mehr, doch ich wollte Matteos neapolitanischen Stolz nicht kränken – „…doch beleidigt wurde ich nur im Stadion. Habe ich nicht persönlich genommen. Ich bin ja kein Sohn von Giulietta.“ Er lacht erneut herzhaft auf, auch ich muss lachen ob dieser Anekdote. Hinter mir höre ich böse Wörter aus einem Wiener Mund. Irrelevant – wir sind mitten im Thema gelandet. Die Rivalität.

„Nun ja, alles begann in den 70er Jahren. Ich war damals zunächst mit meinem Vater Giuseppe und später dann mit Freunden des Öfteren im San Paolo zu Gast. Was heißt zu Gast – es war mein zweites Kinderzimmer.“ Das Feuerzeug klickt.

„Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Gastspiel der Veroneser in Napoli, viele Verwandte waren anschließend aufgebracht. Die SSC bestimmt das Geschehen in der Stadt weißt du?!“ Etwas abfällig nickt er in Richtung der gegenüberliegenden, magischen Arena di Verona. „Hellas, das ist doch im Gegensatz dazu hier lediglich eine Randnotiz…“ 

Zustimmen kann ich Matteo da nicht, zu verwurzelt und präsent ist Hellas in der Stadt und bei den Veroneser Einwohnern, aber klar: Die Scaligeri sind ein Provinzverein, dessen Strahlkraft nicht arg viel weiter als die Provincia di Verona reicht.

Matteo führt fort: “Also, in den 60ern, da fing eigentlich alles an. Noch lange bevor es dann auf den Rängen zu Auseinandersetzungen und Hasstiraden kam… Beide Teams spielten damals in der Serie B, beide um den Aufstieg. Am Vorabend eines Spieltages in der Rückrunde kontaktierten neapolitanische Verantwortliche und Spieler selbige von Verona, um einem Resultat zu Gunsten Napolis etwas Hilfe zu verleihen. Erfolglos, die Geschichte wurde aufgedeckt. Der Spieltag wurde dann aber letztendlich aufgrund von Witterungsbedingungen ohnehin verschoben, auf nach Saisonende… und dennoch stieg am Ende Napoli auf. Und Verona eben nicht. Mit einem Punkt Rückstand. Die Veroneser Verantwortlichen und Anhänger tobten den Erzählungen nach vor Zorn, insbesondere da die cleveren Neapolitaner das so hindrehten, als sei das ganze Wirrwarr eine private Initiative gewesen und eben keine, in die der Verein involviert gewesen war..” 

Matteo grinst bis über beide Ohren. “1961-62 war das. Spätestens da war der Hass der Veroneser entfacht. Das wurde nicht besser, durch weitere Gerüchte um Schiebungen seitens der SSC-Verantwortlichen in folgenden Spielzeiten. Doch die konnten sich da immer wieder rauswinden. Abgesehen von dem ganzen politischen Nord-Süd-Kram, ging es in jenen Jahren insbesondere um Vereinsverantwortliche und Spieler der SSC.“ Sein Blick wird ernster. Er bestellt den nächsten Aperol, während er eine Zigarette aus der Schachtel kramt. Einhändig. “Mit viel Aperol und Spritz – kein Wasser, natürlich.” Die Kellnerin nickt. 

“Richtig angefangen hat es dann zu Beginn der 80er Jahre. Der Brasilianer Diceu wechselte im Sommer 83 von Verona nach Napoli. Ich erinnere mich an ein Spruchband, das damals überall zu sehen war: “Non sei più straniero, Napoli ti ha accolto nel continente nero.” – Du bist kein Ausländer mehr, Napoli hat dich auf dem schwarzen Kontinent willkommen geheißen.” Matteo drückt seine Zigarette aus. Er wirkt nun sehr nachdenklich. “Ab da eskalierte es dann. Die Veroneser Brigate Gialloblù kannte keine Tabuthemen – um es mal so auszudrücken.” Der Aperol kommt, doch Matteos Gedanken sind zwischenzeitlich völlig abgeschweift.

“Insbesondere der Vesuv spielte in den Folgejahren eine Hauptrolle. Und Giulia. Also, natürlich nicht meine Giulia.” Er lacht kurz auf. “Julia und Romeo. Beide Seiten spielten auf ihre eigene Art und Weise mit der jeweils anderen Stadtgeschichte… – wo ich es jetzt ausspreche: Spielen klingt an dieser Stelle vielleicht zu harmlos.” Matteos Leichtigkeit ist verloren, man merkt ihm an, dass er gerade vieles Gesehene und Erlebte reflektiert. “Für mich persönlich ist es tatsächlich eine Art Spiel gewesen. Für viele andere nicht. Ich kann das verstehen. Obwohl ich durch meinen Lebensweg ja irgendwie doppelt betroffen bin.” Er lacht beinahe hysterisch lauthals auf, was ein älteres chinesisches Paar so verschreckt, dass sie Ihren soeben erkämpften Platz kurzer Hand wieder aufgeben. “Aber kommen wir zurück zur Geschichte der Rivalität.”

“Es war das Spiel nach dem Diceu-Spruchband. Glaube ich. Zumindest war es irgendwann Mitte der 80er, denn ich wohnte bereits in Verona.” Er lächelt spitzbübisch, voller Vorfreude auf seine Worte, die nun folgen sollten: “Giulietta è una zoccola e Romeo un cornuto.” Er nimmt einen Schluck um sein Lachen zu verbergen, doch so schnell wie der Inhalt des Spruchbands über seine Lippen kam, so schnell spritzte nun auch der Aperol auf den Tisch aufgrund des heftigen Lachens von Matteo. “Julia ist eine Schlampe und Romeo ein Gehörnter. Das saß. Da hatte die Curva B ganze Arbeit geleistet – und Hellas Verona, eine ganze Stadt plus all ihre Einwohner auf die Schippe genommen. Das Ganze untermalt von hunderten Plastik-Bananen. Es wurde zu einem der berühmtesten Spruchbänder in italienischen Stadien – bis die Episode dann Ende des 20. Jahrhunderts nochmals aufgerollt wurde. Dazu später mehr. Denn zunächst ließen die Veroneser einige Jahre später einen Konter folgen, der wieder auf den ewigen Nord-Süd-Konflikt anspielte.” 

Matteo muss grinsen, steckt sich unterdessen die nächste Marlboro an. “Benvenuti in Italia – sie hießen die Anhänger der Neapolitaner herzlichst Willkommen. In Italien. Nett!” Matteo muss lachen. “Ich habe dir ja gesagt, ich kann das mit Humor nehmen. Das folgende Spruchband Vesuvio pensaci tu– Vesuv kümmere dich (um sie) – fand ich dann schon weniger zum Lachen. Auch die dazu passenden Gesänge “Wasch Sie mit Feuer/Lava”, nun gut… Giulia war schockierter als ich, mein Schwiegervater, der nichts von Fußball hält, war damals zum ersten Mal überhaupt im Stadion – und danach nie wieder.” Matteo schmunzelt ob dieser kleinen Anekdote und blickt nachdenklich zur Arena hinüber. Kurze Zeit herrscht Stille am Tisch, Matteo schweigt. Und raucht. Bestellt ein Getränk: ein Glas Amarone aus Valpolicella. Soviel zum Thema seiner Präferenzen in puncto Wein von Gesprächsbeginn. 

“Nun, und dann rollten die Neapolitaner die alte Geschichte wieder auf. 1999 war das: Giulietta, t’avevo lasciata zoccola e ti ritrovo puttana – Julia, wir haben dich als Schlampe zurückgelassen und als Hure wiedergefunden – so das Spruchband der Napoli-Ultras.” Matteo lacht. 

Der Amarone kommt, Matteo nimmt einen Schluck. Schaut zufrieden zu mir rüber. “Was würde wohl die Reaktion der Veroneser Kurve darauf sein, dass diese so wichtigen Figuren aus der Historie der stolzen Scaligeri-Stadt beleidigt worden?” Er nimmt einen weiteren Schluck und beantwortet seine Frage selbst – und das weitaus trockener, als es ein Amarone jemals sein könnte: 

“Mit einem Spruchband im darauffolgenden Spiel: Napoletani figli di Giulietta – Neapolitaner, Söhne von Julia. – Das ist mein Humor!” Matteo lacht herzlich.

“Und auf diesem Niveau ging das dann zu Beginn der 2000er weiter. Verona wurde von Napoli daran erinnert, dass der Nebel der Po-Ebene von Gott geschaffen wurde, sodass man die Veroneser Einwohner nicht sehen müsste. Diese wiederum entgegneten: “Wasser und Seife für den Teron. Nun ja, Grenzen…” Matteo nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Weinglas und nimmt die letzte Zigarette aus der Schachtel.

“Beide spielten schon immer mit Klischees. Nur irgendwie hat der reiche Norden weitaus härtere und niederträchtigere Vorurteile gegenüber dem “armen” Süden, der auf menschlicher Ebene allerdings vielerorts wesentlich “reicher” als jener Norden ist.” Matteo wirkt nachdenklich. “Beide Seiten verkörpern für die jeweils andere Seite alles, was sie an der Gegenseite verachten. Verona verkörpert die Eigenschaften, für die der Norden steht – und Napoli steht stellvertretend für all die Vorurteile, die man im Norden gegenüber dem Süden hat. Ich kann euch sagen, es gibt sogar auf beiden Seiten einige, die zutreffen…” Er lacht erneut laut auf. 

„Aber ja: Die Koordinaten Napolis auf einem Spruchband der Veroneser, welche die russische Armee wenige Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine aufriefen, die Stadt Neapel zu bombardieren… Das ist dann kein wirklicher Humor mehr. Zum Glück musste das mein Schwiegervater nicht sehen.“ Matteo lacht kurz und bitter auf, der Alkohol klingt nun in seinen Worten mit. 

Dann schnippst Matteo mit dem Finger: „Grappa!“  Die letzten Sonnenstrahlen lassen die Außenfassade der Arena erstrahlen. Es wird Zeit, das Gespräch zu beenden. „Wer gewinnen soll, am kommenden Spieltag? Das ist mir egal. Ich tippe wie immer: 1-1. Für mich sind es zwei Vereine, die dann eben doch in nur einem – nämlich meinem – Herzen sind.“ Der Grappa kommt. Matteo nimmt, trinkt. Steht auf. Und geht. Die Rivalität? Die bleibt. 

Und sie wird bleiben – denn im Gegensatz zu Matteo ist die Historie jener Rivalität keine Fiktion…

tifoso del verona