hellas verona story – #quattro

tre finali, per favore!

Kommen wir zu einem Kapitel in der Hellas Verona Story, welches abermals typisch für den Verein aus der italienischen Provinz ist: Wir machen einen kleinen Zeitsprung, weg von den Zeiten der Prima Categoria, hin zu den Spielzeiten im – zu jener Zeit – quasi neugebauten Stadio Marcantonio Bentegodi.

Und weg vom klassischen Ligaalltag, den wir erst später behandeln – stattdessen hin zu einem fast zynisch anmutenden Kapitel der Vereinsgeschichte: Die Coppa Italia.

In den letzten, vergangenen vier Jahrzehnten kann man von einer durchaus problematischen Beziehung sprechen. Das Erreichen des Viertelfinals war das höchste der Gefühle – und selbst das liegt bereits über 30 Jahre zurück, letztmals im Jahre 1989. Die Coppa und die Scaligeri, irgendwie passt das nicht.

Dabei gab es auch optimistischer anmutende Phasen dieser Liaison, geprägt durch die Granden der Vereinsgeschichte, in der erfolgreichsten Phase von selbiger in den 70er und 80er Jahren.

Doch befassen wir uns zunächst kurz und knapp mit der Geschichte der Coppa Italia, einem heutzutage gleichermaßen verhassten sowie geliebten Wettbewerb, der trotz aller Kritik seine Existenzberechtigung hat – wenngleich heutige Formate zumindest diskussionswürdig sind.

Im Jahr 1921, zur Zeit der bereits in Teil 3 angesprochenen Ligentrennung, kam die Idee eines solchen ligenübergreifenden Cups auf – und wurde, trotz verzwackter Terminlage durch die unterschiedlichen Spielpläne der beiden parallel-existierenden Ligen, im Jahr 1922 letztendlich abgeschlossen. Der erste Sieger kam dabei aus der damaligen Fußballhochburg Liguria, genauer gesagt: aus Vado Ligure, einem ligurischen Küstenort mit noch heute verhältnismäßig großem Hafen. Der heutige Viertligist Vado Football Club 1913, so der klangvolle Name des ersten Coppa-Siegers, konnte im Finale Udinese mit 1-0 besiegen.

Danach war für mehrere Jahre Funkstille, die nächste Runde sollte erst 1926-27 stattfinden, wurde allerdings nie zu Ende gespielt. Nachdem auch der dritte Versuch erst 1935-36 über die Bühne ging und kurze Zeit später der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde der beinahe verhext-erscheinende Cup-Wettbewerb erst im Jahre 1958 regelmäßig und vor allem ab dann jährlich ausgetragen.

Der Sieger erhält die Coccarda italiana tricolore, analog dem Scudetto für den Ligameister, ein eigentlich aus dem Militär – genauer gesagt aus der italienischen Luftwaffe – stammendes Ornament. Jene Coccarda hat Rekordsieger Juventus bis heute 14-mal gewinnen können, insgesamt gestalten sich die Sieger des 21. Jahrhunderts nach der Fiorentina (2001) und Parma (2002) relativ eintönig, bestehend aus Juventus, den Mailänder und den Römer Teams sowie Napoli. Die letzte ganz große Überraschung schaffte der Veroneser Erzrivale Vicenza im Jahre 1997, als man die Coppa erst zum zweiten Mal überhaupt nach Venezia (1941) ins Veneto holen konnte.

Hellas Verona hingegen hatte diese Chance ebenfalls. Und das nicht nur einmal. Wir springen zunächst ins Jahr 1975.

In jenem Jahr 1975 herrscht noch ein ganz anderer Modus als heute vor. Insgesamt gibt es sieben Gruppen à fünf Mannschaften, die zuvor ausgelost wurden und je einmal gegeneinander spielen mussten. Die Gruppensieger qualifizierten sich jeweils für die nächste Runde, sprich: für die Runde der letzten Acht – der Vorjahressieger aus Florenz war bereits fix für die Runde der letzten Acht qualifiziert. Auch ein Hin- und Rückspielmodus im Finale gab es zu jenem Zeitpunkt noch nicht, lediglich ein „großes“ Finale im Stadio Olimpico zu Rom.

Und in ein solches Finale sollte nun zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Hellas Verona einziehen. Gegner: Das verhasste Napoli.

In dieser Saison 1975-76 ist Hellas gerade ein solider Erstligist und wird erstmals gecoacht von Giancarlo Cadè. Dieser kommt ursprünglich aus Bergamo, ist in diesen Jahrzehnten ein wahrhaftiger Wandervogel und zum wiederholten Male in Verona tätig, in seiner wechselhaften Karriere konnte er unter anderem Verona, Mantova, Pescara und Reggiana zu Aufstiegen führen. Sein größter Coup allerdings: Sein „kleines“ Hellas Verona konnte die großen Teams Torino, Cagliari und Internazionale im Laufe jener Coppa-Saison aus dem Weg schaffen. Der Lohn: das große Finale in Rom.

Das Duell Napoli gegen Verona steht unter komplett unterschiedlichen Vorzeichen. Auf der einen Seite die Partenopei, schon damals eines der großen Teams der Liga, mit dem damaligen italienischen Rekordeinkauf Giuseppe Savoldi, der im Sommer zuvor aus Bologna in die Region Campania kam. Angefeuert von über 20.000 frenetischen Fans sind die Azzurri an jenem 29. Juni 1976 der haushohe Favorit – und bestätigen diese Rolle eindrucksvoll. „Provinzverein“ Verona hat gerade einmal an die tausend Fans mit nach Rom gebracht, doch die Sympathien des Römer Publikums gehören schon damals fast traditionell den Veronesern, die zudem eine Mannschaft mit einigen Ex-Römern aufbieten.

Star der Mastini ist in jener Zeit der überragende Gianfranco Zigoni, der, aus dem Veneto stammend, eine glanzvolle Serie A-Karriere bei Juventus, der Roma sowie schlussendlich insbesondere bei Hellas Verona hinlegen sollte. Der Stürmer aus Oderzo in der Provincia di Treviso wird im Laufe der Hellas Verona Story noch sein eigenes Kapitel erhalten; insbesondere durch das bis heute so sagenumworbene 5-3 gegen die AC Milan im Jahr 1973 ist er bis heute eine absolute Vereinslegende.

Doch auch Zigoni ist an diesem Abend nicht genug, um das starke Napoli schlagen zu können. Die Süditaliener, schon damals beinahe traditionell einer der Hauptrivalen der Veroneser Spieler und Anhängerschaft, haben mit dem Underdog in der ersten Halbzeit zwar stark zu kämpfen – doch der 0-0-Halbzeitstand hat letztendlich nur bis zur 76. Minute bestand. Binnen zehn Minuten treffen dann Hellas-Keeper-Ginulfi per Eigentor, Braglia sowie zusätzlich der angesprochene Savoldi per Doppelpack – folgerichtig endet Veronas erstes Pokalfinale mit einer in der Höhe unverdienten 4-0-Niederlage.  

Es dauert einige Spielzeiten, bis Verona zurück in solche Sphären gelangen kann. Wir schreiben die Saison 1982-83, die Mannschaft hat nichts mehr gemein mit jener des ersten Pokalfinales der Vereinsgeschichte. Das Format der Coppa Italia ist hingegen noch immer fast das selbe, lediglich aus der einen Finalpaarung von 1976 wurde ein Duell bestehend aus Hin- und Rückspiel.

Inzwischen ist Osvaldo Bagnoli der verantwortliche Trainer des Teams. Bagnoli, der mago della Bovisa, ist seit 1981 an Bord. Mit beachtlichem Erfolg: In der zurückliegenden Saison 81-82 konnte sich Verona als Serie B-Meister für die Oberklasse qualifizieren, legt anschließend eine grandiose Saison hin und marschiert bis auf Rang vier in der Liga.

Im Pokal geht es in der gleichen Saison 82-83 sogar fast noch höher hinaus. Nach überstandener Gruppenphase setzt man sich deutlich gegen Ascoli (5-0, 0-0), glücklich gegen Milan (2-2, 3-3) sowie im Halbfinale erneut aufgrund der Auswärtstorregel gegen Torino (0-1, 2-1) durch.

Und, natürlich, die Wahrscheinlichkeit ist ja quasi absurd hoch – man trifft im Finale auf La Fidanzata d’Italia. Auf die alte Dame aus Turin, die für Hellas Verona alles ist, bestimmt aber keine Freundin. Juventus konnte sich zuvor im Halbfinale gegen den Erzrivalen Inter durchsetzen, man ist haushoher Favorit – kein Wunder in Anbetracht der Namen des Teams von Mister Giovanni Trapattoni: Der spätere Hellas-Keeper Luciano Bodini im Tor, ein aus Turiner Sicht – Achtung Wortspiel! – „nettes“ Abwehrbollwerk um Gentile, Scirea und Brio, im Mittelfeld die Weltstars Boniek und Platini neben dem späteren Hellas-Coach Cesare Prandelli, im Sturm die späteren Hellas-Stürmer Giuseppe Galderisi und Paolo Rossi. Verona spielte in diesen Phasen hingegen häufig nur mit einer Spitze: Domenico Penzo, der nach den Finalspielen in einer Art Tausch mit Galderisi die Seiten wechselte. Mit großem Erfolg, aus Veroneser Sicht – doch auch das ist eine andere Geschichte.

Wir schreiben also Sonntag, den 19. Juni 1983. Hinspiel des Coppa Italia-Finales im Bentegodi zu Verona. Der Underdog dominiert. Hellas hat Juventus im Griff, kann nach einer wunderschönen Flanke von Roberto Tricella durch einen bilderbuchmäßigen Kopfball von Domenico Penzo kurz vor der Halbzeit in Führung gehen.

Ohnehin hat Hellas in dieser Paarung eine Mannschaft gespickt mit späteren Vereinsikonen und -legenden aufzubieten. Ohne auf einzelne Spieler an dieser Stelle im Detail eingehen zu wollen, die Startaufstellung des ersten Spieles in Verona: ein Genuss für den gemeinen Hellas-tifoso: Claudio Garella im Tor; Tricella, Marangon und Oddi in der Abwehr, die großartigen Di Gennaro, Volpati und Pietro Fanna zusammen mit Guidetti und Sacchetti im Mittelfeld; der Brasilianer Dirceu auf der Zehn hinter der angesprochenen Sturmspitze Penzo. Und jener Penzo, der wenige Wochen später Gelb-blau zu Bianconeri tauschen sollte; jener Penzo wurde zum Matchwinner an diesem Tag.

Der Stürmer, ebenfalls aus dem Veneto stammend, war bereits während der Ligasaison der überragende Mann, in der Torschützenliste nur geschlagen von Superstar Platini. Ein physisch starker, typischer Mittelstürmer mit guter Technik sowie herausragender Übersicht – genau diese Attribute nutzt Penzo kurz nach der Halbzeitpause, legt mit dem Kopf mustergültig für Domenico Volpati ab, der nur noch einschieben muss: 2-0 für die Scaligeri, die curva sud; nein: das ganze Bentegodi – explodiert.

Hellas hat in der Folge zahlreiche Chancen, verpasst allerdings eine höhere „Führung“ für das Rückspiel in Turin. Und, selbstverständlich – es folgt, was sich jeder bereits denken kann.

Der 22. Juni 1983, Rückspiel im Stadio Comunale zu Torino. In der achten Minute bringt Paolo Rossi die Gastgeber in Führung, doch Verona hält sehr gut dagegen, völlig unbeirrt vom frühen Rückstand – doch verpasst es allerdings erneut, seine hochkarätigen Chancen zu nutzen.

Bis zur 81. Minute kontrollieren die Gialloblu das Geschehen – dann segelt eine Flanke aus dem rechten Halbfeld in den Veroneser Strafraum, kommt irgendwie ans lange Eck zu Platini, der den Ball mit einer Grätsche zum 2-0 verwerten kann. Gleichstand, Verlängerung.

Veronas Spieler sind zu diesem Zeitpunkt sichtlich angefressen, diese Begegnung hätte schließlich längst eingetütet sein müssen – doch man lässt den Kopf nicht hängen, lässt keine weiteren Chancen des übermächtigen Gegners zu. Bis zu dieser einen Minute, bis zu dieser 120. Minute, bis zur letzten Aktion des Spiels.

In dieser 120. Minute bringt Juventus-Linksverteidiger Antonio Cabrini eine Flanke von links in den Strafraum, wo der französische Ausnahmekönner Platini mit einer spiegelverkehrten Kopie seines ersten Treffers die Gialloblu ins Tal der Tränen stürzt. 2-0 und 0-3 aus Sicht der Veroneser – denkbar unglücklich, diese zweite Finalteilnahme.

Doch: Bekanntlich sind aller guten Dinge drei.

Und so findet sich der norditalienische Club ganze zwölf Monate später nach Siegen gegen Avellino (0-1, 3-0), Udinese (1-2, 1-0) und Bari (2-1, 3-1) erneut im Finale wieder.  

Der Finalgegner dieses Mal ist die Roma, trainiert vom Schweden Nils Liedholm. Jener Liedholm, der in seiner aktiven Karriere prominterweise eine Anfrage zum Trikottausch von Alfredo Di Stefano ablehnte, ist ein wichtiger Bestandteil der Veroneser Fußballgeschichte, war er es doch, der Hellas Verona im Jahr 1968 als Coach endlich in die Serie A zurückführen konnte.

Doch Geschenke an seinen Ex-Klub verteilen möchte der Schwede nicht – und so tritt die Roma auch am 21. Juni 1984 im Bentegodi auf, ein Weltenunterschied zum Gastspiel-Auftritt der Alten Dame in der Saison zuvor. Die Römer kontrollieren das Spiel, gehen zu Beginn der zweiten Halbzeit durch ein Traumtor des Brasilianers Cerezo in Führung. Diese kann Massimo Storgato, als Teil des Tauschdeals um Galderisi und Penzo aus Turin nach Verona gekommen, zwar ausgleichen – leider ist dieser Treffer allerdings nicht genug für das Rückspiel im Olimpico.

Dieses Rückspiel am 26. Juni 1984 ist die bis heute letzte Finalteilnahme Veronas. Und auch diese dritte Finalteilnahme würde ein bittersüßes Ende nehmen. Was auch sonst, schließlich wissen wir: Veronesi tutti matti!

Verona sollte das Rückspiel in Rom schlussendlich mit 1-0 verlieren. Und das nicht irgendwie, nein – Hellas-Rechtsverteidiger Mauro Ferroni erzielte nach einem Eckball mit einem perfekten Kopfball die Führung. Leider allerdings für die AS Roma, nicht für Hellas: er traf mustergültig ins eigene Tor.  

Drei Finalteilnahmen, drei Niederlagen. Davon zwei in den aufeinanderfolgenden Saisons 1982-83 und 1983-84. Unter bitteren Umständen, durch Unvermögen und Pech; natürlich irgendwo auch durch fehlende Qualität, verglichen mit den „großen“ Gegnern.

Verona konnte sich in der Coppa von diesem „Doppelschock“ der 80er Jahre bis heute nicht mehr wirklich erholen. In der Liga hingegen sollten zu jener Phase goldene Tage anbrechen. Und ja, auch ein gewisser Deutscher war an jenen goldenen Tagen nicht ganz unbeteiligt…  

La storia continua…

tifoso del verona