hvfc – saison 2022-23 – un miracolo? #2

Das neue Führungsduo – beziehungsweise: -trio, bezieht man den alten neuen Co-Trainer Salvatore Bocchetti mit ein – um Sportdirektor Sogliano und Coach Zaffaroni steht in diesem Dezember vor einer brutalen Aufgabe, wie im ersten Teil zu lesen war. Man muss eine Mannschaft, deren Moral nach zehn Niederlagen in Folge komplett am Boden ist; eine Mannschaft, ohne jegliche defensive Stabilität oder offensive Durchschlagskraft, irgendwie auf- und neu ausrichten.

Tabellenplatz 20, acht Punkte Rückstand auf das rettende Ufer (dort sitzt La Spezia mit 13 Punkten) – zwar sind erst 15 Spiele gespielt, der Abstand ist dennoch mehr als nur besorgniserregend. Innerhalb weniger Wochen muss der Trainer der Mannschaft Selbstvertrauen zurückgeben – und in den darauffolgenden Wochen der neue Sportdirektor ein komplett verpatztes Transferfenster irgendwie geraderücken.

Keine Aufgabenstellungen, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten bei den Fans Jubelstürme auslösen… Teil 2 des Veroneser Saisonrückblicks.

04.01.2023 – Punktgewinn in Turin          

Zum Wiederauftakt nach der langen WM-Pause geht es für die Gialloblù zu einem alten Bekannten. Ivan Juric‘ Torino spielt bislang eine solide Saison, darf sogar von Europa träumen. Verona spielt personell nicht allzu sehr verändert: Isak Hien rückt in die Startelf und ersetzt Koray Günter, den es wenige Wochen später zu Samp zieht; Eigengewächs Ibrahim Sulemana darf ebenfalls starten und wird wie auch in den Folgewochen sehr viel Spielminuten erhalten.

Die ersten Minuten unter dem neuen Coach machen nicht allzu viel Hoffnung, betrachtet man rein die unveränderte offensive Durchschlagskraft. Allerdings: Zaffaroni hat augenscheinlich die Defensive stabilisiert – so lässt Verona hinten nur wenig zu, hat in der Offensive allerdings in Halbzeit eins nicht einen nennenswerten Abschluss. Bis Milan Djuric mit der letzten Aktion jener Halbzeit nach einem tollen Eckball von Standardspezialist Darko Lazovic einköpft – Verona geht mit einer Führung im Rücken in die Halbzeitpause, ein unbekanntes Gefühl während der vergangenen Monate.

Und dieser Treffer setzt ungeahnte (offensive) Kräfte frei: Plötzlich ist es ein anderes Spiel, Verona hat insbesondere in Form von Djuric die Chance, mehrfach die Führung auszubauen – die Mastini zeigen ein völlig neues Gesicht. Leider können sie sich nicht belohnen, Torino gelingt mit einem typischen Miranchuk-Traumtor aus der Distanz sogar der schmeichelhafte Ausgleichstreffer. In der Folge vergibt Verona noch ein ums andere Male die überfällige erneute Führung – dennoch gehen die Gialloblù immerhin mit einem Punktgewinn nach Hause. Dem ersten Punktgewinn nach 10 Niederlagen, wohlgemerkt.

Tabelle – 16. Spieltag: 20. Hellas Verona – 6 Punkte – 8 Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz

09.01.2023 – Big Points im Abstiegskampf gegen Cremonese

Der Punktgewinn in Turin hat etwas Selbstvertrauen gegeben, wenngleich noch keinerlei Optimismus in die gelbblauen Sphären zurückgekommen ist. Die Mannschaft ist schlussendlich noch immer nur wenig ausgewogen, ein solch riesiger Kraftakt zum Erreichen des Klassenerhalts scheint eine Aufgabe ad absurdum zu sein. Vom Transfermarkt gibt es keine Neuigkeiten zu berichten, doch viele Namen schwirren durchs Veroneser Universum. Allerdings auch Namen wie jener von Ivan Ilic, eine der Säulen der vergangenen Monate, den es zu seinen Ziehvätern nach Marseille (Tudor) oder Turin (Juric) ziehen könnte. Soglianos Plan scheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich durchschaubar zu sein, weiterhin tun sich viele Fragezeichen auf.

Umso wichtiger das Spiel gegen Cremonese (19.): Lazovic, heute mit der Kapitänsbinde in Vertretung von Veloso und Faraoni, erzielt nach nur neun Minuten den Führungstreffer, ehe er eine Viertelstunde später nach tollem Solo mit hervorragender Übersicht von Doig erhöhen kann. Verona hat das Spiel in der Folge im Griff, verpasst allerdings ein ums andere Mal ein weiteres Tor gegen erschreckend schwache und harmlose Gäste aus der Lombardei.

Am Ende steht zum ersten Mal in dieser Saison für Keeper Lorenzo Montipo die „Null“, für die Mannschaft ist es der zweite Dreier der Saison. Am 17. Spieltag, wohlgemerkt – aber auch ungeschlagen im Jahr 2023 mit vier Punkten aus zwei Spielen.

Tabelle – 17. Spieltag: 18. Hellas Verona – 9 Punkte – 6 Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz

21.01.2023 – Lecce pt. 1

Dem Punktgewinn gegen Cremonese folgt eine Niederlage bei Inter, unterdessen ist Sogliano allerdings auf dem Transfermarkt nicht untätig gewesen. Und so stoßen Oliver Abildgaard (Rubin Kazan), Ondrej Duda (1. FC Köln), Deyovaisio Zeefuik (Hertha BSC), Jayden Braaf (BVB 2), Adolfo Gaich (ZSKA Moskau) und Cyril Ngonge (FC Groningen) zu den Gialloblù. Zu behaupten, dass die Neuzugänge zu diesem Zeitpunkt Euphorie im Veroneser Veneto entfachen, wäre schlicht und ergreifend gelogen – doch die Fans vertrauen Sogliano. Denn: Auch ein Iturbe, und noch weniger ein Rade Krunic, den Sogliano damals erstmals nach Italien locken konnte, waren dem italienischen tifoso ein Begriff – und schlugen (früher oder später) ein.

Lecce kommt an diesem 21.01. also ins Bentegodi. Ein Big Match, welches Lecce für sich nutzen möchte, insbesondere um die elf (!) Punkte Vorsprung auf die Veroneser weiter auszubauen.

Doch das gelingt nicht. Es ist der gebürtige Veroneser Fabio Depaoli, Sampdoria-Leihgabe und ursprünglich aus der Jugend von Chievo stammend, der den Torreigen eröffnet, als er eine butterweiche, passgenaue Flanke von Josh Doig per Kopf verwerten kann, ehe Darko Lazovic nach herausragendem Ballgewinn von Ivan Ilic noch vor der Halbzeit erhöht. Es ist die vorerst letzte nennenswerte Aktion für Ivan Ilic im Dress der Veroneser. Nur wenige Tage später verlässt er den Verein gen Torino und wechselt zu seinem „Ziehvater“ Ivan Juric.

Schon nach wenigen Wochen im Jahr 2023 ist auffallend: Torhüter Lorenzo Montipò konnte sein Spiel enorm steigern, seine Formkurve geht gewaltig nach oben. Gegen Lecce hält er zum zweiten Mal die Null, was auch Zaffaronis Schachzug in der Defensive „geschuldet“ ist: Der schwedische Innenverteidiger Isak Hien agiert seit dessen Amtsantritt konsequent in der Zentrale der Dreierkette, was dem Spiel der Gialloblu erhebliche Stabilität verliehen hat. Hien avanciert in der Folge zu einem absoluten und unumstrittenen Leistungsträger.

Tabelle – 19. Spieltag: 18. Hellas Verona – 12 Punkte – 5 Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz

13.02.2023 – Verona imbattuto…

Auf den Sieg gegen Lecce folgt eine kleine Serie: Verona verliert auch in Udine und gegen Lazio nicht, kann sich beides Male ein 1-1 erspielen. Gegen Lazio kann der belgische Neuzugang Cyrill Ngonge seinen Debüttreffer erzielen, nachdem er die frühe Lazio-Führung durch Pedro ausgleicht. Auch abseits des Treffers zeigt Ngonge, dass dem neuen Sportdirektor Sean Sogliano hier ein Glückstreffer gelungen sein kann. Spielstark, technisch versiert, mit direktem Zuge zum Tor – alles Eigenschaften, die den Veronesern in der ersten Saisonhälfte fehlten. Letztendlich verhindert Lazio-Keeper Ivan Provedel sogar eine Niederlage seines Teams.

Zum „wahren“ Showdown kommt es dann am 13. Februar. Die Süditaliener von Salernitana kommen in die Stadt von Romeo und Julia, für Verona beginnen neben Ngonge zwei weitere Neuzugänge in der Startelf: Der Argentinier Adolfo Gaich und der Slowake Ondrej Duda, ein alter Bekannter aus der deutschen Bundesliga. Beide werden im Laufe der nächsten Woche ihre Rolle spielen, wenngleich weitaus weniger bedeutend als Teamkollege Ngonge – die anderen Neuzugänge Zeefuik, Braaf und Abdilgaard hingegen werden dem weiteren Saisonverlauf ihren Stempel nicht aufdrücken können.

Es läuft die 32. Minute im Bentegodi zu Verona, dem altehrwürdigen Stadion, in dem die Belgier im Rahmen von Italia novanta 1990 zwei Siege in der Gruppenphase einheimsen konnten, als der schottische U-Nationalspieler Josh Doig den serbischen A-Nationalspieler Darko Lazovic mit einem feinjustierten Pass an die Grundlinie schickt. Lazovic ist in herausragender Form, hat in den vergangenen zwei Spielen bereits jeweils Tore vorbereiten können, und auch heute bedient er Cyril Ngonge mustergültig: Der belgische U-Nationalspieler macht es seinen Landsleuten von 1990 gleich und versenkt die Flanke gut überlegt per Volley im Kasten der Gäste. In der Folge dominiert Verona das Spiel beinahe nach Belieben, kann allerdings nicht erhöhen.

Am Ende bleibt es beim 1-0 Erfolg der Veroneser – es ist das dritte „Zu Null“ für Keeper Lorenzo Montipò nach 22 Spieltagen, allerdings auch das dritte „Zu Null“ in diesem Jahr 2023. Zaffaroni hat offensichtlich Stabilität ins Team gebracht, Sogliano an Stellschrauben in der Kaderplanung gedreht – und so ist Verona plötzlich seit vier Spieltagen ungeschlagen, hat beinahe unglaubliche 12 Punkte aus den letzten 7 Spielen geholt. Als Erinnerung: Aus den ersten 15 Partien der Saison waren es ganze 5 Pünktchen…

Die Hoffnung auf den Klassenerhalt ist in Verona an jenem Montagabend des 13.02.2023 zurück – das rettende Ufer scheint in Blick- und Reichweite zu sein. Die kommenden Wochen werden Verona allerdings zurück auf den Boden der harten Tatsachen holen…

Tabelle – 22. Spieltag: 18. Hellas Verona – 17 Punkte – 2 Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz

08.04.2023 – HELLAS 120 ANNI

Der Sieg gegen Salerno Mitte Februar wird zunächst der letzte bleiben. Es folgen sechs sieglose Partien, auf eine „Ungeschlagen-Serie“ folgt also eine „Sieglos-Serie“. Alles ganz normal in Verona eben. Lediglich zwei Pünktchen springen dabei raus, einem 1-1 gegen Monza folgt ein torloses Unentschieden im so wichtigen Duell gegen den direkten Konkurrenten aus La Spezia.

Die Euphorie in den Wochen nach dem Jahreswechsel scheint verflogen, nach 28 Spieltagen ist Verona weiterhin auf Rang 18 zu finden – inzwischen allerdings mit ganzen sechs Punkten Rückstand auf Spezia.

Am 08.04. gastiert Sassuolo in Verona. Es ist der 29. Spieltag. Wenige Stunden zuvor hat La Spezia der Viola um den langjährigen Ex-Hellas-Spieler und jetzigen Fiorentina-Coach Vincenzo Italiano überraschend einen Punkt abtrotzen können, befindet sich also vor Anstoß des Hellas-Spiels mit ganzen sieben Punkten Vorsprung bei einem Spiel mehr beinahe außer Reichweite.

Man könnte sagen: Verona steht mit dem Rücken zur Wand. Dabei ist dieses Spiel eines, das unter ganz besonderen Umständen stattfindet. Es ist die Woche des 120-jährigen Vereinsjubiläums von Hellas Verona, aus diesem Anlass finden in der Woche zuvor diverse Veranstaltungen statt, so beispielsweise ein temporäres Museum im Bentegodi, diverse Banketts und noch mehr Ehrungen.

Oftmals ist mentalità calcio bereits auf die ereignisreiche und wechselhafte Geschichte der Veroneser eingegangen, auch den Autor dieses Textes erwartet in den Tagen nach dem Jubiläumsspiel noch die ein oder andere faustdicke Überraschung – dazu in wenigen Tagen an anderer Stelle mehr.

Am Spieltag selbst hingegen ist das Jubiläum auch in den Straßen rund ums Stadion zu spüren. Eigentlich in der ganzen Stadt. Überall hängen Fahnen, bebildert mit den ersten Wappen des Vereines, dem aktuellen sowie vereinzelt auch jenem Wappen, welches extra für das Jubiläum entworfen wurde. HELLAS 120 ANNI. In den Tagen vor dem Spiel wurden von der curva sud in der ganzen Stadt Plakate verteilt, und so ist die ganze Stadt zugepflastert mit einem schönen „1903-2023 AUGURI VECCHIO HELLAS!“.

Die Bars sind voll, das Wetter ist hervorragend, es liegt Spannung in der Luft. An der Rückseite der curva sud ist eine überdimensionale Flagge in Gialloblù gehisst, schlicht mit den Worten „VERONA“ versehen. Den Veronesern ist bewusst: Verliert man heute, dann wird es verdammt schwer. Ein Remis? Selbst das ist eigentlich zu wenig. An der Gedenkstätte der Scaligeri neben der curva sud findet wenige Stunden vor dem Spiel eine Trauerzeremonie statt. Ein schlechtes Omen für den Tag? Nein. Egal was heute passiert, egal wie das Spiel ausgeht, Hellas Verona ist unsterblich – das ist hier allen Anwesenden bewusst. Dennoch: Der Sieg ist und bleibt Pflicht.

Im weiten Rund werden vor Spielbeginn diverse anwesende Legenden geehrt. Hans-Peter Briegel ist dabei, Luca Toni. Pietro Fanna, Romulo. Domenico Penzo. Es ist eine illustre Runde aus unterschiedlichsten Ären des Vereines. Doch alle haben der Geschichte ihren Stempel aufgedrückt. HELLAS 120 ANNI.

Den Stempel aufdrücken kann dem folgenden Spiel allerdings lediglich Sassuolo. Verona spielt unterirdisch, sechs sieglose Partien in Folge haben Spuren hinterlassen. Die Gäste aus der Emilia-Romagna gehen folgerichtig in der ersten Hälfte auch in Führung – Verona hat dem nur wenig entgegenzusetzen. Bis zur 84. Minute, als Innenverteidiger Federico Ceccherini einen Eckball von Cyril Ngonge per Kopf im Tor der Gäste unterbringt. Kollektive Ekstase im Stadion – und Verona will in den letzten Minuten die drei Punkte. Doch Sassuolo verteidigt mit Bravour, zwischenzeitlich läuft bereits die 95. Minute. Die letzte der Nachspielzeit. Ein letzter Rückpass von Sassuolo-Rechtsverteidiger Jeremy Toljan zu Gästekeeper Andrea Consigli, der den Ball circa 25 Meter vor dem Tor in Empfang nimmt. Er muss ihn nur noch wegschlagen, dann ist das Spiel aus. Es bliebe bei sechs Punkten Rückstand für Verona aufs rettende Ufer. Doch Consigli, bekannt für den ein oder anderen Patzer während vergangener Jahre, hat eine andere Idee. Eine Idee, die diesen Tag perfekt macht. Für Verona, wohlgemerkt. Völlig unbedrängt spielt der Italiener den Ball dem eigentlich passiven Stürmer der Gialloblù, Neuzugang Adolfo Gaich, in die Füße – und Gaich zögert nicht. Er steht 35, 40 Meter vor dem Tor des weit aufgerückten Conisgli. Er schaut. Und er schießt. Er lobt den Ball über Consigli passgenau ins Gehäuse der Gäste – Gaich trifft aus 35, aus 40 Metern zum 2-1 für Hellas Verona. In Minute 95. Im Spiel des 120-jährigen Vereinsjubiläums. Kollektives Ausrasten ist im Stadion die Folge. Bierbecher fliegen, Espresso wird verschüttet. Fremde Menschen liegen sich in den Armen. Calcio kann Wunder, das ist bekannt. Verona ganz offensichtlich auch…

Tabelle – 29. Spieltag: 18. Hellas Verona – 22 Punkte – 4 Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz

07.05.23 – Lecce, Lecce, Lecce pt. 2

Auf dieses miracolo gegen Sassuolo folgt ein wahrhaftig goldener April. Hellas legt erneut eine „Ungeschlagen-Serie“ hin. Die Extreme in alle Richtungen im Saisonverlauf muten beinahe absurd an.

Einem 0-0 in Napoli – hier vergibt Ngonge einen möglichen Führungstreffer in der Nachspielzeit alleine vor dem Tor kläglich – gegen ein Team, das sich im Champions League-Rausch befindet und daher auf einige Stammkräfte verzichtet, folgt ein vielumjubelter Heimsieg im folgenden Freitagabendspiel gegen Bologna. Zum Matchwinner avanciert hierbei Simone Verdi, der gegen seinen Ex-Klub einen Doppelpack erzielen kann.

In jenen Wochen spielt Verdi auf einem vergleichbaren Leistungslevel wie zu Hochzeiten in seiner Karriere, leider ist es nur ein temporärer und sehr kurzer Peak.

Auch gegen das immer stärker werdende Cremonese im darauffolgenden Spiel (32. Spieltag) rettet Verdi den Veronesern mit seinem Ausgleichstreffer einen Punkt – es ist ein wunderschöner Volleytreffer, den der Angreifer im Tor der Lombarden platzieren kann. Und es ist ein immens wichtiger Treffer, immerhin kann Cremonese so den Rückstand auf Verona eben nicht auf vier magere Pünktchen reduzieren.

Verona beendet den April also mit einer weiteren „Ungeschlagen-Serie“: Der Niederlage bei Juventus zu Monatsbeginn lassen die Mastini zwei Siege und zwei Unentschieden folgen, Gaich‘ Treffer gegen Sassuolo löste alle Fesseln in den Köpfen der Veroneser. Der Klassenerhalt scheint greifbar zu sein – nach 32 Spieltagen hat man 27 Punkte auf dem Konto, liegt punktgleich mit La Spezia auf Rang 18.

Am 07.05.2023 geht es dann nach Lecce. Unter der Woche (Spieltag 33) hat Verona eine herbe Heimklatsche gegen den FC Internazionale hinnehmen müssen (0-6), eine der höchsten ihrer Art. Schnell werden Stimmen laut, in Anbetracht diverser Rotationsbewegungen sowie Systemumstellungen auf Veroneser Seite, die von einem bewussten Schonen der Spieler zeugen. Das große Duell gegen Lecce steht nur vier Tage später vor der Tür. Tordifferenzen? In dieser Saison in Italien erstmals wieder irrelevant. Zumindest für den Abstieg. Schließlich gäbe es bei Punktgleichheit mit Spezia ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden.

Und so machen sich die Veroneser auf gen Süden. Es verspricht ein heißes Duell zu werden, nicht nur deshalb, weil die beiden Fanlager sich ganz und gar nicht mögen. Seitens der Fanszene der Süditaliener gab es noch wenige Wochen zuvor Hasstiraden, Morddrohungen und Manipulationsvorwürfe nach Consiglis eklatanten Patzer, der Verona den Heimsieg gegen Sassuolo bescherte. Umso explosiver daher das ohnehin brisante Aufeinandertreffen im Stadio Via del Mare.

Es ist Sonntagabend, 20.45 Uhr. Am Mittag haben die Lombarden aus Cremona überraschend gegen Spezia gewonnen, plötzlich greifen auch sie in den Kampf um den Klassenerhalt wieder ein, stehen mit 24 Punkten nur noch knapp hinter Spezia und Verona (jeweils 27 Punkte).  Auch Lecce hat nur vier Zähler mehr – alles ist angerichtet für einen großen Abend.

Und Verona kann liefern. Sie stürmen mit dem Anpfiff nur nach vorne, haben nach gerade einmal 84 Sekunden die große Chance auf die Führung, doch Djuric trifft nach feinster Lazovic-Flanke nur die Latte. Es folgen weitere Chancen für die Gäste aus dem Veneto, leider erfolglos. Das Spiel flacht ab.

In Minute 71 gewinnt dann Depaoli ein Kopfballduell kurz hinter der Mittellinie nach einem Abschlag von Lecce-Torhüter Falcone. Djuric erhält den Ball und legt per Kopf ab zu Cyril Ngonge. Der junge Belgier ist nun in seinem Element, dribbelt los. Zieht in die Mitte, lässt zwei Gegenspieler stehen. Noch vor dem Erreichen des Strafraumes zieht Ngonge ab und der Ball schlägt im linken unteren Eck ein – riesiger Jubel auf Seiten von Verona, die den Sieg in der Folge verteidigen können.

Und damit ist es am Abend jenes 07. Mai 2023 vollbracht: Erstmals seit Mitte Oktober (!) 2022 können die Mastini die Abstiegsränge verlassen und finden sich in der sicheren Zone auf Platz 17 wieder.

34. Spieltag: 17. Hellas Verona – 30 Punkte – 3 Punkte Vorsprung auf Spezia.

28.05.2023 – Dramatik pur: Der vorletzte Spieltag

Auf das Hoch gegen Lecce folgt – Überraschung! – der nächste Rückschlag gegen den Ex: Torino entführt drei Punkte aus dem Bentegodi (0-1). Verona scheint beeindruckt vom Resultat des Vortages, konnte der direkte Konkurrent aus La Spezia doch völlig überraschend mit 2-0 gegen Milan siegen und mit Verona gleichziehen (jeweils 30 Punkte).

Und auch am 36. Spieltag läuft alles gegen Verona. Während die Venetier mit 3-1 in Bergamo trotz tollem Führungstreffer von Lazovic verlieren, können die Aquilotti aus La Spezia punkten und stehen nach dem Remis gegen Lecce wieder über dem Strich mit einem Punkt Vorsprung auf Verona (31 Punkte).

Es folgt Spieltag 37. Der vorletzte Spieltag der regulären Saison der Serie A. Spezia muss erneut vorlegen: Torino um die beiden Ex-Scaligeri Ivan Juric und Ivan Ilic ist zu Gast – und es gibt keine Gnade für die Gastgeber. Torino siegt deutlich mit 4-0, auch Ilic trifft und feiert seinen Treffer gebührend. Eine Steilvorlage für Hellas Verona, die am Tag danach gegen das bereits „gesicherte“ Empoli an Spezia vorbeiziehen können.

Es läuft die sechste Minute der Nachspielzeit. Verona hat das Spiel gegen Empoli im Griff, liegt in Führung. Erneut war es der Argentinier Gaich, der Verona nach einem Abpraller in Minute 61 in Führung bringen konnte – zum jetzigen Zeitpunkt ginge man also mit zwei Punkten Vorsprung auf Spezia und die Abstiegsränge in den letzten Spieltag.

In jener sechsten Minute der Nachspielzeit erhält dann der Slowene Petar Stojanovic den Ball. Der Spieler vom Empoli macht einen Übersteiger. Einen zweiten, einen dritten. Er dringt in den Strafraum der Veroneser ein. Die Sekunden ticken. Stojanovic gibt aus gar nicht mal allzu gefährlicher Position letztendlich einen Schuss ab – und Hellas-Verteidiger Giangiacomo Magnani lenkt diesen unhaltbar für Keeper Montipò ins eigene Tor. Eigentor in Minute 96. In einem Spiel, das man im Griff hatte. Das man für sich hätte entscheiden können. Das ein riesiger Schritt für den Klassenerhalt hätte sein können.

Stille im Stadion. Entsetzen im Stadion. Die Spieler sinken auf dem Rasen zusammen. Die große Chance, sie scheint verpasst – doch immerhin zieht man durch das Remis wieder mit Spezia gleich. Das Entscheidungsspiel – es rückt näher…

37. Spieltag: 18. Hellas Verona – 31 Punkte – Punktgleich mit Spezia.

04.06.2023 – Grande Finale?

Verona muss am letzten Spieltag zu Milan, Spezia zur Roma. Die Ligurier gehen früh in Führung, es scheint, als können sie das Wunder in Rom schaffen – ehe der Römer Zalewski kurz vor dem Halbzeitpfiff für die Roma ausgleicht.

Noch ist Verona immer abgestiegen, man liegt in Mailand zurück – ehe Faraoni in Minute 71 ausgleichen kann. Milan dreht auf, geht wieder mit 3-1 in Führung. Hellas ist abgestiegen.

Vermeintlich. Es sind die letzten Sekunden des Spiels in Mailand, als die Nachricht durch das altehrwürdige San Siro sickert: Elfmeter für die Roma. Und Dybala verwandelt – 2-1 für die Roma. In buchstäblich letzter Sekunde. Beide Konkurrenten verlieren. Verona hat mehr Glück als Verstand und bekommt das Entscheidungsspiel gegen Spezia.

Spezia und Verona beenden die Saison jeweils mit 31 Punkten in einem Finale, welches an Dramatik nicht zu überbieten ist – und deshalb in diesen Zeilen auch nur kurz angeschnitten wird. Dramatik, Emotionen, Leidenschaft – die Partien hatten das alles zu bieten, was den calcio so wundervoll macht. Ich kann allen nur empfehlen, Zusammenfassungen und/oder die ganzen Partien im Re-Live zu schauen. Es lohnt sich.

11.06.2023 – Finales Finale

In den Tagen vor dem großen Entscheidungsspiel gibt es viele Fragezeichen. Das fängt bei der Terminierung des Spieles an, doch schnell wird sich auf Sonntag, 11.06.2023 um 20.45 Uhr geeinigt. Die Stadionwahl ist da deutlich schwerer. Florenz? Die Stadt bietet sich an, Spezia lehnt ab. Auch ein Grund: Die freundschaftlichen Verbindungen der Veroneser Fans zu jenen der Viola. Udine? Entscheidet sich kurzfristig gegen die Austragung. Bologna? Sagt direkt ab. Reggio Emilia? Zunächst heißt es „ja“, dann „nein“, dann wird es letztendlich doch fix gemacht.

Die Città del Tricolore als Austragungsort für das Entscheidungsspiel um den Serie A-Klassenerhalt. Poetisch, oder?!

Der geneigte Leser dieser Zeilen wird das Spiel gesehen haben. Faraonis Führung. Ngonges Doppelpack. Ampadus Treffer, Ampadus Lattenschuss. Montipòs Glanztaten. Faraonis „Henry-Gedächtnis-Handspiel“. Es benötigt auch hier keine Zusammenfassung oder Wörter, um das Spiel nochmals aufleben zu lassen. Im Endeffekt waren es die Protagonisten der Saison, die Verona durch das Spiel trugen: Montipò, Hien, Faraoni, Lazovic, Ngonge. Die Veroneser Gesichter der Saison sorgen für den 3-1 Sieg gegen Spezia – und damit den Klassenerhalt. Verona sorgt für Erleichterung in einer ganzen Region – in mintfarbenen Trikots, mit der Arena di Verona auf dem Trikot, bevor am Abend die richtige Party auf der Piazza Bra an der echten Arena di Verona steigt.

Das Veroneser Wunder ist an diesem Abend endgültig Realität geworden. Das Wunder vom schier unerreichbaren Klassenerhalt.

…alles WUNDERbar?

Das Wunder also? Nun ja. Zaffaroni schaffte es Stabilität in die Defensive zu bekommen, ja – in den ganzen Kader. Sogliano brachte die nach den Abgängen von Carpari, Barak und Simeone so dringend benötigte offensive Kreativität in Form von Ngonge zurück. Mit einem halben Jahr Verspätung – ein Versäumnis, das ganz eindeutig auf die Kappe des vormaligen Sportdirektor Marroccu geht. Und auf Setti. Die Zugänge des Sommers waren allesamt nur wenig erfolgreich, hier stechen lediglich Doig und Hien heraus – diese wurden allerdings noch von Marrocus Vorgänger D’Amico fix gemacht, glaubt man den Gerüchten. Gut möglich, entsprechen sie doch ganz klar seinem bevorzugten Profil.

Der Abstiegskampf war vermeidbar. Fehlerhafte Personalentscheidungen auf den wichtigsten strategischen Positionen führten zu eben diesem, der Sparkurs sowie die Verkaufsstrategie von Setti passten da perfekt ins Bild.

Sogliano wusste ebenso wie Zaffaroni, an welchen Stellschrauben er zu drehen hatte. Mit Erfolg. Es ist Setti jedoch positiv anzurechnen, dass er seine damaligen Unstimmigkeiten mit Sogliano „vergessen“ konnte – wenngleich wohl vielmehr aus Eigennutz als aus wahrhaftigem Interesse am Verein.

Ein Wunder ist der Klassenerhalt eher nicht, vielmehr solide Arbeit seit der WM-Pause, die zum Klassenerhalt führte. Und natürlich, allen voran, die bescheidene Qualität der Gegner: Zeitweise schien es tatsächlich so, als würden weder Verona, noch Spezia und Cremona wirklich in der Serie A bleiben wollen. Ergo: Mehr Glück als Verstand denn ein „Wunder“ – doch nun heißt es in Verona: Ende gut, alles gut.

Ein Sommer mit sehr viel Arbeit steht bevor – für Verona, für Sogliano. Der wird Sportdirektor bleiben, wie vor wenigen Tagen verkündet wurde. Sein erster Auftrag? Die Besetzung der Trainervakanz. Zaffaronis Vertrag läuft mit dem 30.06.2023 aus. Verlängerung? Unklar.

Die fünfte Serie A-Saison in Folge steht für die Gialloblù an. Die elfte Saison unter Präsident Setti. Trotz allen Veränderungen existiert wohl doch eine gewisse „Kontinuität“ in Verona…

tifoso del verona