ma perché il milan – tom

Rui Costa, Pippo Inzaghi, und Ich.

Die AC Milan und die Serie A begleiten mich nun etwas mehr als 20 Jahre meines Lebens. Nicht immer mit gleichbleibender Intensität – die hat sich verständlicherweise mit fortschreitendem Alter kontinuierlich erhöht. Es war nie selbstverständlich oder in irgendeiner Weise logisch, dass es mir gerade dieser Verein oder diese Liga antun würden.

Es gibt Millionen von Fußballfans und vermutlich auch genauso viele Geschichten darüber, wie ein Fan zum Fan wurde. Mal ist es die Familie, mal ist es ein besonderes Spiel oder ein besonderer Spieler. Mal ist es Zufall – wie bei mir. Aber der Reihe nach. 

Als ich im Oktober des Jahres 1994 im Vogtland geboren wurde, war es quasi gesichert, dass mir die Liebe zum Fußball in die Wiege gelegt wurde. Mein Großvater väterlicherseits betrieb den Sport bereits seit frühester Kindheit aktiv in meinem späteren Heimatverein, mein Vater folgte dieser noch frühen Tradition in ebenso jungen Jahren und auch ich trat sechs Jahre später mit Anmeldung in der E-Jugend eben jenen Weg an. Und wenn man im Vogtland aufwächst, dann ist es schwer, bei denhier lebenden Menschen auf die Frage nach der Identifikation eine klare Antwort zu bekommen, denn ein nicht kleiner Teil der Vogtländerinnen und Vogtländer würde sich eher als „nördlicher Zipfel Bayerns“ identifizieren denn als Teil Sachsens. Was sich in dieser Form auch auf die Wahl des Herzensvereins niederschlägt, der bei den allermeisten Menschen hier in der Landeshauptstadt Bayerns zu verorten ist und die Farben rot und weiß zu seinen Vereinsfarben deklariert. Deutlich in der Minderheit sind dagegen Fans der Spielgemeinschaft Dynamo aus Dresden sowie des FC Erzgebirge Aue, zu letzterem gehört, seit er denken konnte, auch mein Vater.

So ähnlich sich mein Vater und Großvater in der Ausübung ihres Lieblingssports waren, so unterschiedlich waren sie sich bei der Wahl ihrer Lieblingsvereine. Mein Großvater ist nie aktiv auf die Suche nach dem einen Verein gegangen und dieser Verein hat auch nie durch einen wie auch immer gearteten Zufall zu ihm gefunden. „Ich find‘ den BVB ja ganz interessant…“ während der Ära Jürgen Klopps, war das höchste der Gefühle. Ich glaube – nein! – ich weiß, dass er sich auch schon viel zu lange viel zu wohl in der durch dieses Privileg gebrachten Position fühlt, gegen die Herzensvereine der eigenen Verwandtschaft zu sticheln,ohne jedoch der Schwäche anheim zu fallen, selbst eine Angriffsfläche zu bieten.

Was meinen Vater angeht, so hätte ich noch heute die Möglichkeit, durch die Sammlungen alter Zeitungsberichte und Stadionhefte aus dem Erzgebirgsstadion zu blättern, kollektivierte Schals und Trikots des FC Erzgebirge (Pardon: der BSG Wismut Aue) anzuschauen oder mir Geschichten von Auswärtstouren durch die DDR-Oberliga zum CFC oder nach Magdeburg anhören zu können, denn in der Beziehung war mein Vater das komplette Gegenteil zu seinem Vater.

Und es ist durchaus nicht so, als hätte mein Vater nicht versucht, auch mich zum FCE zu bekehren. Eher auf eine subtile und weniger aufdringlich Art, vielleicht, aber er hat es versucht. Gefruchtet haben diese Versuche letztlich nie und vor allem anderen ist mein Vater bei diesem Vorhaben krachend an sich selbst gescheitert. Das aber spricht durchaus für ihn, denn ich hatte das Glück, mit einem Vater aufzuwachsen, der seine Kinder zu nichts drängte, bei allem unterstützte und die Wege akzeptierte, die vom eigenen Nachwuchs eingeschlagen wurden und damit hatte er doch noch enormen Einfluss auf mein Fan-Dasein.

Man verzeihe mir, wenn ich mich aufgrund des Alters nicht mehr an das genaue Datum erinnern kann, es war entweder November oder Dezember des Jahres 1999 oder das Frühjahr 2000 – die lange Wartezeit auf die Anmeldung in der E-Jugend war beinahe überstanden – als mir mein Vater von einer Dienstreise nach Frankfurt mein erstes richtiges Fußballtrikot mitbrachte. Man kann an dieser Stelle bereits erahnen von welchem Verein dieses Trikot war. Der Vollständigkeit halber: Laut Aussage meines Vaters gab es im von ihm aufgesuchten Sportgeschäft nur noch ein Trikot in meiner damaligen Größe – das Heimtrikot der AC Milan. Es mag Zufall gewesen sein, für diejenigen die an Schicksal glauben vielleicht auch das. Aber von diesem Moment an stand für mich fest: Das wird er, mein Verein. Und vermutlich hätte sich dieser Gedanke bei einem Fünfjährigen, der ohne Hilfe seines Vaters keine Berührungspunkte mit seinem neu auserkorenen Herzensverein hatte, mit der Zeit wieder verflüchtigt. Mein Vater jedoch nahm diese Nachricht auf, vermutlich mit einem weinenden Auge, und tat fortan alles ihm Mögliche mir Milan und die Serie A näher zu bringen.

Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Milan-Spiele in Champions League und Serie A wir gemeinsam schauten. Und je weiter ich zurück gehe, desto mehr verschwimmen die Erinnerungen an die Spiele an sich und es bleiben die Erinnerung an die Spieler, die meine ersten Berührungspunkte mit diesem außergewöhnlichen Verein waren. Bierhoff (es war seine letzte Saison bei Milan, bevor es im Sommer nach Monaco ging), Shevchenko, der stets unterschätzte Serginho, Gattusound Ambrosini, Redondo, Costacurta, Abbiati, Dida und allen voran die Lichtgestalt Paolo Maldini.

Endgültig besiegelt wurde meine Liebe zu Milan dann im darauffolgenden Transfersommer, als Rui Costa und Pippo Inzaghi bei Milan unterschrieben und fortan mit Paolo Maldini eine Achse bildeten, die bei mir persönlich ob ihrer Eleganz (nun, „Eleganz“ hat jeder dieser Spieler wohl auf seine eigene Art und Weise definiert) noch heute Gänsehaut auslöst. Ein kurzer Einwurf an dieser Stelle: Bei der Frage „Maldini oder Baresi“ werde ich immer mit Maldini antworten und das vor allem deshalb, weil Franco Baresi es gewagt hatte, einige wenige Jahre vor meinem ersten Kontakt mit Milan seine aktive Spielerkarriere zu beenden. Aber zurück zum Thema.

Es war wahrlich nicht schwierig, sich in das Milan der 00er-Jahre zu verlieben, so viel steht fest. Es war ja schließlich auch alles dabei. Nächte wie die im Old Trafford im Mai 2003, aber auch das Endspiel um die Champions League 2005. Die Meisterschaft 2003/2004 (die sich Milan bis heute noch mit einem anderen Ereignis teilen muss – hier und da wird man vermutlich erahnen können, um welches Ereignis es sich handelt). Spiele gegen die Bayern hätten in meinem Elternhaus durchaus ein gerechtfertigter Grund für Blauhelmeinsätze sein können – denn meine Mutter hatte ihr Fussballherz dem FC Bayern verschrieben und lebte die Attitüde, wonach jede Niederlage der Bayern einem persönlichen Angriff gleichkam, auch an ihrer Familie aus. Ich nehm‘ es Dir nicht übel, Mama. Dafür gingen ja schließlich alle Aufeinandertreffenwährend dieser Zeit letztlich an Milan.

Es ist aber auch kein Geheimnis, dass spätestens ab 2011 so einiges in die falsche Richtung lief. Ich möchte gar nicht zu sehr ins Detail gehen, weil ich mit diesem Text ansonsten „Krieg und Frieden“ Konkurrenz machen könnte, aber bei all den schlechten Entscheidungen, bei allen verpassten Entwicklungen und Chancen, hat mir nichts so sehr Angst bereitet, wie die Zeit zwischen 2017 und 2018.

Milan in der Hand eines chinesischen Konsortiums, dessen Hintergrundgeschichte und finanzielle Potenz nicht mal in China nachvollzogen werden konnte, löste etwas wie Existenzangst aus, die mit der Übernahme durch den US-Hedgefonds Elliott nicht gerade kleiner wurde. Es mag sinnbildlich für den Profi-Fußball dieser Zeit stehen, daran gewöhnen werde ich mich erstmal nicht – zu widersprüchlich ist das natürliche Ziel eines Hedgefonds zum eigentlichen Sinn eines Fußballvereins. Aber vielleicht bin ich… sind wir, die das so sehen, auch einfach zu altmodisch geworden.

Nichtsdestotrotz gilt:

Sempre Milan!

(Un‘altra bellissima storia del tifo italiano. Grazie, Tom!)