Oftmals wird im deutschsprachigen Raum fälschlicherweise angenommen, dass die Erzrivalen Hellas Veronas aus einem Veroneser Vorort stammen, in welchem vermutlich haufenweise Paluani-pandori verspeist werden. Doch dem ist nicht so.
Tatsächlich stehen in der „Rivalen-Hackordnung“ der Scaligeri unzählige andere Vereine mit deutlich mehr Relevanz vor der eher belächelten Paluani-AC ChievoVerona.
Und das aus guten Gründen. Während sich mentalità calcio noch ausführlich der Veroneser Curva Sud widmen und insbesondere mit der Brigate Gialloblu beschäftigen wird, die sich zu einer Zeit Freund und Feind schuf, als das Paluani-Fußball-Projekt vor über 50 Jahren noch in den Kinderschuhen steckte, soll es hier und heute um etwas anderes gehen:
Um die rivalità schlechthin – das Derby del Veneto.
Und somit um eine seit Jahrhunderten bestehende Feindschaft zweier Städte, die sich gerade einmal um die 50 Kilometer voneinander entfernt befinden und deren Einwohner sich noch nicht mal die Strände der venetischen Adriaküste teilen.
Denn: Die Veroneser Erzrivalen verspeisen keinen pandoro, viel mehr fressen sie Katzen.
„Veneziani gran signori, padovani gran dottori, veronesi tutti matti e vicentini magna gatti.” – dieser Teil eines Sprichwortes (wohl) aus dem 17. Jahrhundert ist bis heute im Veneto geläufig und bekannt, wird noch immer sehr gerne zur Charakterisierung der jeweiligen Einwohner der genannten Städte zurate gezogen.
Längst ist auch Vicenza eine der reichsten Städte Italiens, doch das Katzenfresser-Sprichwort hat seinen Ursprung in einer Zeit, in welcher die Vicentini noch weitaus ärmer waren: zwar gibt es verschiedene Legenden zur Entstehung derselbigen, eine der geläufigsten Erzählungen ist allerdings, dass die Vicentini zu Zeiten der Pest aberwitzig viele Katzen von ihren Stadtherren zur Bekämpfung der Rattenplage (samt der Seuche) erhielten.
Allerdings hatten die Einwohner die wahre Bestimmung der Katzen wohl missverstanden – der Bestand an Katzen nahm immer wieder sehr schnell ab, was dazu führte, dass die Vicentini als Katzenfresser verschrien wurden…
Auch während Zeiten späterer Hungerleiden oder des zweiten Weltkriegs hielt sich dieses „Gerücht“ hartnäckig.
Heute wird diese Geschichte von Einwohnern der norditalienischen Stadt sehr gerne in die Welt der Fabeln verwiesen, selbst wenn Kochbücher aus der Provinz Vicenza gerne über die Jahre, immer mal wieder, vereinzelt neues, „belastendes“ Beweismaterial veröffentlichen…
Doch zurück in zivilisiertere Gefilde des Veneto und des italienischen Fußballs.
Die Stadt Verona ist reich an Historie, in Stadt und Provinz sind die Einflüsse der Scaligeri (zu Deutsch: die Skaliger) und der venezianischen Dogen unübersehbar.
Die Veroneser Della Scala-Familie (sprich die Scaligeri) dehnte im Mittelalter seine Besitzverhältnisse auf die Provinzen Padua, Vicenza und Treviso aus, de facto stand so das komplette Veneto mit Ausnahme von Venezia unter Veroneser Herrschaft.
Ein Vorgang, der insbesondere den Vicentini nicht schmeckte, doch sie waren wehrlos – die venezianischen Dogen zerschlugen letztendlich das Veroneser Herrschaftsgebiet zu Beginn des 15. Jahrhunderts, die Rivalität der einzelnen Städte hält allerdings bis heute an, insbesondere jene von Verona und Vicenza.
Schon ein Jahr bevor die Associazione Calcio Hellas im Oktober 1903 von Studenten des liceo Scipione Maffei gegründet wurde, hatten Vicentini um Professor Tito Buy und Dozent Antonio Libero Scarpa, der zugleich erster Trainer wurde, die Associazione Calcio Vicenza ins Leben gerufen.
Das erste Aufeinandertreffen der verfeindeten Städte ließ allerdings noch einige Jahre auf sich warten: erst im Jahre 1906 kam es zum ersehnten Aufeinandertreffen, allerdings nur im Rahmen eines Freundschaftsspiels in Vicenza; das erste Pflichtspielduell sollte erst weitere Jahre später stattfinden, am 05. Februar 1911.
Schnell merkten sowohl Veronesi als auch Vicentini, dass il calcio der perfekte Ort war, um die gegenseitige Antipathie ausleben und die Abneigung in einem sportlichen Rahmen genießen zu können.
Noch heute weckt ein Derby del Veneto auch bei nicht-fußballinteressierten Veronesern großes Interesse, so ausgeprägt und tief verwurzelt ist diese Abneigung und zu verlockend ist die Möglichkeit, den verhassten Katzenfressern aus der feindlichen Stadt klar und deutlich machen zu können, dass man ein stolzer Teil der Stadt und Provinz der Scaligeri ist – Vicenza vaffanculo!
Trotz der geringen Entfernung lassen sich übrigens schon anhand der sprachlichen Eigenschaften der entsprechenden Dialekte der jeweiligen Bevölkerungen gravierende Unterschiede und Abgrenzungen feststellen: spricht der Veroneser im lokalen Dialekt von butei, wenn er ragazzi meint, so sagt der Vicentiner hingegen tosi. Ein exemplarisches, geläufiges Beispiel für erhebliche dialektische Unterschiede im venetischen Sprachraum und folgerichtig auch ein regionalstes identitätsstiftendes Merkmal, welches erheblich zur gegenseitigen Abgrenzung der beiden benachbarten Provinzen beiträgt.
Über die Jahrzehnte kam es zu vielen hervorzuhebenden Begegungen der stolzen Städte, seit Ende der 70er, Anfang der 80er auch immer wieder mit beidseitigen Ausschreitungen; mit Stromausfällen und legendären Spielern.
Auf einzelne Partien wird mentalità calcio im gesonderten Rahmen eingehen, es lohnt sich allerdings allemal, die Highlights der jüngsten, legendären Partie anzuschauen.
Fakt ist: Zwischen den beiden größten und wichtigsten Vereinen des Veneto besteht eine jahrhundertealte Städtefeindschaft und gegenseitige Abneigung (sowie aktive Abgrenzung), was folgerichtig gravierende Folgen für die gemellaggi der jeweiligen curva mit sich bringt.
So unterstützten beispielsweise hunderte Veroneser das Londoner Team aus Chelsea im Rahmen eines Halbfinalduells im Pokal der Pokalsieger in und gegen Vicenza, letztendlich mit Erfolg – Chelsea setzte sich durch und gewann jene vorletzte Ausgabe dieses Wettbewerbs im Jahre 1998.
Auch sind bei Paarungen mit befreundeten Vereinen oftmals Gruppen – je nachdem – aus Vicenza oder Verona anwesend, sei es bei Duellen mit Pescara, mit Sampdoria, der Fiorentina oder der Triestina, wo noch wenige Monate vor der Pandemie Verona! Verona!-Gesänge aus der Curva Furlan Richtung Auswärtsblock geschmettert wurden.
Die rivalità mit Vicenza überschattet alle anderen Rivalitäten und Antipathien. Jahrhundertelang gewachsen, auf historischen Ereignissen beruhend – diese Abneigung wird bleiben, für immer.
Auch, da die Vicentini sicherlich keinen Hungertod erleiden müssen – es gibt schließlich auch in Pescara genügend Katzen…
Eine Antwort zu „motivi di una rivalità storica“
[…] habe sie im Rahmen von Beiträgen auf mentalità calcio einige Male angeschnitten, beispielsweise hier oder auch hier. Alles zu erzählen, das ist gar nicht möglich, und nein: Das überlasse ich dann […]